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TA 1675, Lebenslauf, S. 8

Sandrart (Fortsetzung von vorheriger Seite)Informat. zur Quellenmarkierung:
Der Lebenslauf, den Sandrart entgegen seiner auf Bescheidenheit zielenden Aussage wohl selbst verfasst hat (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 4), erfuhr durch Sigmund von Birken deutliche sprachliche Eingriffe wie aus dessen Korrespondenz und Tagebucheintragungen ersichtlich wird (vgl. Klemm 1995; Laufhütte 1998, S. 25–29; Möseneder 2000, S. 163; Laufhütte 2011). Die im Lebenslauf vertretenen Leitmotive von Geburts- und Kunstadel, von Tugendidealen, den Kontakten mit Herrschern und Gelehrten sowie der Idee einer neuen deutschen Kunst vor dem Hintergrund eines europäischen Lebenswandels stilisieren Sandrart zu einem würdigen Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft (vgl. Meier 2004, S. 223–227). Besonders die Qualitäten von Sandrarts Malerei werden durch Georg Philipp Harsdörffer bezeugt (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 19 f.), vgl. dazu Schreurs 2010(c), S. 128–132.Christina Posselt, 16.01.2012Der Beginn des hier hervorgehobenen Textabschnittes befindet sich auf Seite 621
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sonderlich die Salbung Christi zu Bethania/Refectorio oder Speiß-Zimmer der Mönche à Y. Servi, da CHristus der HERR/ mit vielen Personen/ nach gehaltener Malzeit/ von Maria Magdalena gesalbet wird/ worüber die darneben stehende aufgeblasene Phariseer murren und spotten. Hierinn ist alles/ mit großer Zierlichkeit/ auch vernünftiger austheilung und stellung der Gebäude/ nach Architectonischer Regel/ ausgeführet/ und daher dieses für eines aus den raresten Werken des Pauli Verones zu achten. welches die Franzosen einsmals hinweg partiren wollen/ Es wurde auch nachmals/ um seiner raritet willen/ durch etliche Franzosen/ auf anlaß des Königs/ von den Mönchen heimlich erhandlet/ die es/ nachdem sie eine gute Copey/ um solche mit dem Original auszuwechslen/ davon machen lassen/ dem König/ gegen einem namhaften Stuck Gelds überschicken wollen. Aber die Republik wurde dessen zeitlich verständiget: da dann das Kloster ganz unversehens/ unter währendem einpacken/ überfallen/ die Mönche in dieser That ergriffen/ auch deßhalben hart gestraffet worden. Damit auch der gleichen nicht mehr vorgenommen werden möchte/ und den Mönchen ein Gedächtnis dieser unerbaren That vor die Augen zu stellen/ musten sie mit gedachter Copia sich begnügen lassen/ und wurde das Original in den Palast von S. Marco überbracht/ und und die Republik dem König nach Paris verehret. daselbst aufgerichtet. Weil aber dieser Fehlschuß dem König sehr übel gefallen/ als hat die Republik/ in aller stille/ durch einen vertrauten Cavallier/ ihn mit diesem Kunstblat freywillig beschenket: wofür er/ neben einem höflichen Dankschreiben/ mit 100000 Cronen gegen der Republik/ und gegen Zu Venedig ist/ mehr das colorirte Wol-Mahlen/ als die Art der Antichen/ in Ubung. dem Uberbringer mit 6000 Ducaten/ seine Erkentlichkeit erwiesen; und wird jetzo dieses Stuck/ in der Gallerie zu Paris, mit höchster Ehre aufbehalten.

Von dergleichen Kunststucken/ befindet sich zu Venedig eine große Anzahl: aus welchen eine schöne Practic, absonderlich in der Invention und im coloriren zu erlernen/ nicht soviel aber in Zeichnungen und Umrißen/ nach art der Antichen. Dann die Venediger sind allezeit/ mehr im ersten/ als im Kunstfähigkeit des Herrn von Sandrart: andern berühmt gewesen. Unser ämsiger Herrn von Sandrart/ hat dessen sich fleißigst bedienet/ und damit/ neben den Jahren/ auch seine Wissenschaft reichlich vermehret: also daß Er/ im Zeichnen und Coloriren/ wundersam proficirt. Sein Geist ware mit allen Stücken/ so von einem guten Mahler erfordert werden/ nach genügen begabet. Sein reiffes Judicium und der Verstand in Ihme/ gienge nicht langsam/ verfuhre doch auch nicht übereilt und obenhin/ als den keine Mühwaltung/ Fleiß oder Zeit taurete. Was Er auch einmal gelernet/ das ware nicht in Wasser oder Staub geschrieben/ sondern gleich als in einen festen Felsen eingegraben. Die Natur selbst erinnerte Ihn stäts sein selbsten/ als der von ihr einen Adelichen Geist empfangen/ und nichts kindisches an sich hatte/ auch allezeit alles männlich/ natürlich/ angenehm/ lauter und ungezwungen vornahme und ausbildete. Daher konte es nicht fehlen/ es musten gleich die ersten Jahre bey Ihme sich fruchtbringend zeigen/ da man von deren Blüte nichts solches noch erwartete.

Die Begierde/ noch mehrere Progressen in

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der gehet fürter/ der Zeichenkunst zu thun/ machte Ihn von Venedig nach Rom abreisen: dahin er/ in gesellschaft seines Vettern/ und des kunstreichen Kupferstechers nach Ferrara und Bologne:Le Blon, sich auf den Weg machete. Die Reise gienge durch Ferrara und Bolognia, die allenthalben mit ausbündigen Kunst-Gemälden erfüllet waren. An diesem letzten Ort/ besuchte Er den Guido Renn, und wurde von ihm höchstfreundlich empfangen/ mit vorweisung alles dessen/ was Er damalen/ als ein Nehrer der Künsten und Vatter der edlen Gratien/ vermochte. Er gienge auch zu dem Francesco Alban, welcher viel hochsinnreiche Stucke/ voll Invention und Zierlichkeit/ verfärtiget: von welchem allen Er großen Frommen Stücke daselbst/ S. Caecilia, von Raphael d’Urbino, zu seinem Vorhaben geschöpfet. Er beschauete alle fürnehme Gebäude/ Kirchen/ Paläste und Galerien dieser Stadt/ welche mit rariteten pranget/ und sahe unter andern im Dom Stift Gemeint ist hier die Kirche S. Giovanni in Monte in Bologna.Anna Schreurs, 16.06.2008/ eine Tafel: die praesentirte eine Caeciliam, mit andern beystehenden Heiligen/ von Raphaël d’Urbino überaus meisterhaft gezeichnet. Er fande auch/ auserhalb auf einem Berge in der Capuciner Closter/ wie nicht minder zu S. Michael in Bosco, jedes orts und Dieser Verweis besitzt mehrere Ziele:
Kreuzigung
Kreuzigung
zwey Crucifixe
/ von Guido Bolognes Bei der Kreuzigung in San Michele in Bosco könnte es sich um die Kreuzigung der Galleria Pallavicini handeln, eine der Kapuziner-Kreuzigung ähnliche, wenn auch reduzierte, Komposition. Sie befand sich allerdings ab 1679 im Besitz des Kardinal Lazzaro Pallavicini in Rom.Christina Posselt, 16.03.2009, auch eine ganze Galerie, von den Carraza.
ein herrliches Crucifix von gemeldtem Guido, und noch eine ganze Gallerie von dem Leben S. Benedicti, durch Hannibal und Ludwig Carraza gemahlet: welches alles unser Künstler fleißig nachgemahlet/ und Ihm zu nutz gemacht; daß also in Ihn/ gleich als in einen Ocean, aller Welt Meisterschaft zusammen flosse/ damit Er solche hinwieder/ wie das Meer die Ströme und Bäche/ ausgiessen möchte.

Seine Fortreise gegen Florenz: Von hier/ gienge er weiter fort/ nach Florenz/ und kame unterwegs zu dem schönen Lusthaus Fiorenzola, und dem Lust-Ort Pratolino Da Sandrart an anderer Stelle für »Prato« die Bezeichnung »Pratolino« wählt, bleibt hier unklar, ob er auch hier diesen Ort, oder die Mediceische Villa (heute Demidoff) meint. Die Erwähnung einer »schönen« Stadt spricht dafür, daß es sich um Prato handelt.Anna Schreurs, 20.08.2008: allwo man die schöne Stadt/ bey heiterem Himmel/ nicht ohne sondere Belüstigung/ konte hervor spielen sehen. Seine Ankunft fiele eben an einem Feyertag: da die Bürger/ mit ihren Frauen und Kinderen/ nach alter Gewonheit/ auf die alda befindliche Wiesen/ sich mit einem Danz und andern Frölichkeiten zu erlustigen/ sich begeben hatten. Dieser da er/ bey einem Wiesen-Danz/ in Gefahr gerahten. Danz solte fast/ durch des Glückes Neid/ unserm Herrn von Sandrart/ wie dem Johanni Baptistae das Danzen der Herodias, bekommen seyn. Dann als Er/ und sein Reißgesell Le Blon, um den Reihen etwas genauer zu beobachten/ sich von den Pferden begeben/ ward Ihme gleich/ nach des Orts Gewonheit/ eine der schönsten Jungfrauen zugebracht/ um dieselbe zum Danze mitzuführen. Weil seine höfliche entschuldigung ihn dessen nicht befreyen wolte/ verrichtete Er den Danz mit guter Manier. Es begabe sich aber/ daß der fliegende Rock dieser Jungfrauen sich in seinen Sporn verwicklet/ und dadurch in eine merkliche Höhe erhoben wurde: welches ihre anwesende beyde Brüder alsobald häftig resentirt/ und für einen sonderbaren affronto ausgerechnet/ auch deswegen mit entblößten Degen auf ihn los gegangen. Er/ der sonst auch nicht zaghaft war/ retirirte sich zu seinen Pistolen/ und stellte sich in verfassung/ seine Unschuld und gerechte Sache zu manuteniren. Es traten aber andere verständigere Personen dazwischen/ die seine Unschuld dermassen bezeugten/ daß Ihm diese

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Der Lebenslauf, den Sandrart entgegen seiner auf Bescheidenheit zielenden Aussage wohl selbst verfasst hat (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 4), erfuhr durch Sigmund von Birken deutliche sprachliche Eingriffe wie aus dessen Korrespondenz und Tagebucheintragungen ersichtlich wird (vgl. Klemm 1995; Laufhütte 1998, S. 25–29; Möseneder 2000, S. 163; Laufhütte 2011). Die im Lebenslauf vertretenen Leitmotive von Geburts- und Kunstadel, von Tugendidealen, den Kontakten mit Herrschern und Gelehrten sowie der Idee einer neuen deutschen Kunst vor dem Hintergrund eines europäischen Lebenswandels stilisieren Sandrart zu einem würdigen Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft (vgl. Meier 2004, S. 223–227). Besonders die Qualitäten von Sandrarts Malerei werden durch Georg Philipp Harsdörffer bezeugt (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 19 f.), vgl. dazu Schreurs 2010(c), S. 128–132.Christina Posselt, 16.01.2012Das Ende des hier hervorgehobenen Textabschnittes befindet sich auf Seite 631