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TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 62

Linke Spalte

können nachmals die Bilder/ mit einer sonderbaren gratia und Natürlichkeit/ kehren und wenden: welches oft vielen ermanglet/ und doch einem jeden notwendig ist/ der da verlanget/ so wol Bilder/ als Statuen/ nach dem Leben zu mahlen.

[Marginalspalte: Die Zeichnung geschihet/ mit Rötel oder Kreide.] Es geschihet aber die Zeichnung auf Papier/ entweder durch den Rötel/ so ein zarter und linder Stein/ leicht zu schaben und zu schneiden/ auch in unserm Teutschen Gebürg zu finden ist; oder aber durch schwarze Kreide gleicher Gattung/ welche uns Holland überschicket. Andere nehmen bloß eine Feder/ und lassen dem weißen Stoff/ es sey gleich Papier oder Tuch/ seine Liechte und Helle. Es ist zwar schwer/ aber die gewöhnliche meisterhafte Manier/ daß man auf graulicht Papier mit schwarz schattiret/ und mit weiß erhöhet: deren sich die meisten gebrauchen. Meder bemerkt, dass sich das »gewöhnlich« und die »meisten« nicht auf deutsche, sondern auf italienische Verhältnisse beziehen müsse nach dem vorhandenen Material; vgl. Joseph Meder: Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Wien 1919, S. 179 und Klemm, Notizen, zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 62.Christian Klemm, 21.04.2011

Wer nun/ nach solcher Zeichnung/ auf die Mauren mahlen will/ der nimt ein langes Rohr/ stecket oben eine Kohle darein/ und fasset es in die [Marginalspalte: Wie der Umriß auf den Kalch zu tragen.] rechte Hand/ in die linke aber seinen Carton oder Papier/ auf welchem der Abriß stehet: tritt also von ferne/ und träget solchen/ mit dem Kohl-Rohr/ von Stuck zu Stuck/ nach proportion und Maß seines gutgedunkens/ in geziemender Größe/ auf die naße Mauer; nach welchem Abriß er so fort sein Werk/ mit den gebührenden Farben/ auf solcher Mauer Kunstmäßig vollendet. Meder scheint angesichts des Begriffs »Carton« hier eine Abhandlung über Kartons zu erwarten (vgl. Joseph Meder: Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Wien 1919, S. 533) – diese Passage folgt bei Sandrart jedoch erst einige Seiten später, vgl. TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 65; vgl. Klemm, Notizen, zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 62.Christian Klemm, 21.04.2011

Aus besagter Ubung an natürlichen Leibern/ entspringet die invention oder Erfindung/ welche anordnet/ wie man in großen Historien vier/ acht/ zehen/ fünfzehen/ zwanzig und mehr Figuren/ oder [Marginalspalte: Von der Invention, worinn sie bestehe.] ganze Heere in Bataglien und Feldschlachten/ stellen solle. Bey solcher Erfindung ist zu beobachten/ daß man die Bilder manierlich also ordne/ damit/ wann zum Exempel eine Person die andere mit Ehrerbietung zu grüßen hat/ sie im umwenden den andern nicht den Rucken kehre: und also ist auch in andern Stücken zu verfahren.

[Marginalspalte: Geschicht-Mahlerey/] Eine Historie soll erfüllet seyn mit vielen unterschiedlichen Dingen/ doch daß jedes auf den vorgesetzten Zweck ziele. Es mus auch der Figuren [Marginalspalte: und was bey den Figuren zu beobachten.] Amt/ Dienst und Verrichtung/ Jugend und Alter/ aus dem Gesicht/ Gebärden und Area zu spüren seyn. In der lateinischen Ausgabe werden nur die Begriffe »facie« und »gestibus« verwendet (vgl. Sandrart, Academia 1683, S. 5), bei Vasari ist etwas abweichend von »gesti e l’attitudine« die Rede; bei dem Begriff »area« lehnt sich Sandrart wohl an Vasaris Formulierung »aria dolce e bella« der Frauen an, vgl. dazu Vasari, Le Vite 1568, hier zitiert nach Ed. Bettarini/Barocchi, vgl. Online-Ausgabe SNS, Bd. I, S. 116 [Accessed: 2011-11-04. Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/62wd01XhW]; Klemm, Notizen, zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 62.Christina Posselt, 21.04.2011 Dahero an einem Frauenbilde/ wie auch an einem Jüngling/ das Gesicht etwas lieblicher und zärter/ als an Männern/ zu bilden: die Alten/ müßen mit sittsamen und bedachtsamen Gebärden/ absonderlich so sie geistliche oder hohe Stands-Personen praesentiren/ gestaltet werden. Man hat auch allezeit zu beobachten/ damit jedes Ding mit dem ganzen Werk einstimme/ und also/ gleich in erster anschauung des Gemähls/ eine Harmonie zu spüren sey. Trotzig soll eine Furie, und freundlich eine Liebes-Göttin/ gebildet werden: damit man des Mahlers intention oder vorhaben/ ohn Beyfügung

peuvent plus tard, tourner et faire tourner les figures avec une grâce En latin dans le texte.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009 et un naturel particuliers : ce qui fait défaut à beaucoup, et est pourtant nécessaire à quiconque désire peindre au vif, aussi bien des figures que des statues.

[Marginalspalte: Le dessin est produit par la sanguine ou par la craie.]Le dessin se fait sur papier, grâce à une sanguine, c’est-à-dire une pierre tendre et douce, facile à gratter et à couper, que l’on peut aussi trouver dans nos montagnes allemandes ; ou avec de la craie noire ou du charbon du même genre, que la Hollande nous envoie. D’autres prennent simplement une plume et laissent au matériau blanc, que ce soit du papier ou de la toile, sa lumière et sa clarté. Il est certes une manière plus difficile, mais c’est celle utilisée d’habitude par les maîtres, qui est d’ombrer avec du noir sur du papier gris et de faire des rehauts de blanc: la plupart s’y emploient.

Celui qui veut maintenant, d’après un tel dessin, peindre sur un mur, qu’il prenne un long tube, y fixe en haut un charbon, et le prenne dans [Marginalspalte: Comment appliquer l’esquisse sur la chaux ? ] la main droite, et qu’il prenne dans la main gauche, son carton ou papier, sur lequel se trouve son esquisse : il agit ainsi de loin et reporte celle-ci, avec le tube et le charbon, partie par partie, selon la proportion et la mesure de sa bonne mémoire, dans la grandeur qui convient, sur le mur mouillé ; suivant cette esquisse, il termine tout de suite son travail, selon les règles de l’art, avec les couleurs qui conviennent.

De la pratique d’après des corps naturels, naît l’invention Sandrart utilise deux mots : l’un en français, l’autre est sa traduction en allemand.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009, qui ordonne la manière on doit dans de grandes histoires, disposer, quatre, huit, dix, quinze, vingt figures ou plus, ou [Marginalspalte: De L' invention, , en quoi elle consiste.] toute une armée en rang de bataille et sur un champ de bataille. Pour cette sorte d’invention, il faut veiller à disposer les compositions avec de bonnes manières, de telle sorte que si, par exemple, une personne doit en saluer une autre en lui témoignant du respect, en se tournant, elle ne tourne pas le dos aux autres : et cela doit aussi être pratiqué dans d’autres parties.

[Marginalspalte: Peinture d’histoire/]Une histoire doit être remplie de beaucoup d’objets différents, il faut pourtant que chaque chose vise au but supérieur. On doit aussi sentir la fonction, [Marginalspalte: et ce qui doit être observé dans les figures.] la position, le travail des personnages, et aussi l’âge, la jeunesse ou la vieillesse, à partir des visages, des gestes et du lieu [area] En latin dans le texte.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009. Par conséquent, pour une femme, comme pour un jeune homme, le visage doit être fait de manière quelque peu plus gracieuse et douce : les vieillards doivent être présentés avec des attitudes vertueuses et mesurées, en particulier s’ils tiennent la place de personnages religieux ou de haut rang. On doit également veiller tout le temps à ce que chaque objet s’unisse à l’ensemble de l’oeuvre, et qu’ainsi, dès le premier regard sur le tableau, une harmonie soit sensible. Une Furie En français dans le texteMichèle-Caroline Heck, 25.02.2009 doit être représentée indocile et une gentille déesse, aimable: afin que l’on puisse reconnaître l’intention En français dans le texte.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009 ou le projet du peintre, sans devoir joindre une explication.


Rechte Spalte

einer Erklärung/ erkennen möge. Die Bilder/ so ernsthaft/ zornig und wild erscheinen sollen/ müßen eine freche Gestalt bekommen. Andere/ die man in die ferne ordnet/ müßen als flüchtig/ mit allgemach-dunklen und abnehmenden Farben beygebracht werden.

In diesem aber bestehet hierbey die meiste Meisterheit [Marginalspalte: Verlierung der hinter einander stehenden Bilder.]/ daß sie die nackende Bilder lebhaft und natürlich treffen/ ingleichen hinter einander also eintheilen/ und nach und nach zu- oder abnehmen machen/ daß sie zum theil herfür kommen/ die andere aber/ der Ordnung nach/ durch brechung der Farben Christian Klemm bemerkt zu dieser Textstelle, dass Sandrart hier gemäß der Auffassung des 17. Jahrhunderts und damit der Betonung der Farbperspektive von der Zeichnung zur malerischen Ausführung überleitet; vgl. Klemm, Kommentar Viten 1995, S. 906, Anm. 613, 19 f.Julia Kleinbeck, 23.08.2011/ nach der Kunst sich verlieren und entweichen. Wie aber solches anzugreiffen und zuweg zu bringen/ davon soll hernach/ bey den Oelfarben und anderer [Marginalspalte: Die Perspectiv mus wol beobachtet werden.] Orten/ ausführlicher Bericht geschehen. Es mus aber allhier/ wie in allem/ die Perspectiv künstlich beobachtet werden: daß nämlich erstens das vorgenommene Stuck/ nach proportion des Orts und der Regeln/ sich entweder ordentlich verliere/ oder sich herfür thue und ergrößere; Ferner daß alles/ nach Ordnung des Gebäues/ der Zimmer und Seulen/ klüglich und sauber eingerichtet/ lieblich in die Augen falle; und endlich/daß/ gleichwie das perspectivische Gebäu selber/ also auch die Höhe und Helle/ Gänze Le mot utilisé Gänze est sans doute une erreur, et il faut plutôt lire Glänze.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009 oder Härte der Farben/ wie oben gedacht/ sich gemächlich verliere. Und aus solcher guten Eintheilung/ wird des Künstlers Verstand geprüfet.

[Marginalspalte: Der Mahler soll oft die Manieren von allerley Personen ab- und in ein Büchlein zusammen zeichnen.]Nachdem man auch die Perspectiv wol begriffen/ und aller Dingen Gliedmaßen und Leiber in sein Gedächtnus eingedrucket/ so kan der Mahler zum öftern unter die Leute Lustwandlen/ wo unterschiedliche Standspersonen anzutreffen und zu sehen sind. Da beobachte er dann ihre Art/ und Manier im arbeiten/ reden/ handlen/ zanken/ lachen/ streiten und schlagen/ was für Gebärden sowol sie/ als die umstehende Zuseher/ führen. Diese Praxis berichtet auch Bellori von Domenichino (Bellori, Vite 1672 (Ed. Borea/Previtali 1976), S. 329); vgl. Klemm, Notizen, zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 62.Christian Klemm, 21.04.2011 Dieses alles zeichne er kürzlich ohne Scheu in sein hierzu bereitetes Büchlein Das Skizzieren verschiedener Affekte, Gesten und Gebärden legt Leonardo dem Künstler in seinem »Discurs von den Malerregeln« nahe im Kontext des »decorum« und des Porträtierens nach dem Leben, vgl. Leonardo, Trattato (1651), Kap. LVIII, Precetti di pittura, überprüft anhand der Ausgabe Leonardo, Trattato 1651 (ital. Editio princeps Du Fresne), S. 14 f. Leonardos Ausführungen werden von Sandrart ohne den poetischen Reichtum wiedergegeben, er folgt Leonardo aber in der Aussage, dass nach den Skizzen das Modell zu stellen und zu studieren sei (vgl. Klemm, Notizen, zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), zu S. 62).Christina Posselt, 21.04.2011/ und verwahre solches/ zu seinem Gebrauch/ wol und fleissig. Pratique proposée par Léonard de Vinci, utilisée par les peintres septentrionaux et mentionnée par Félibien à propos de Poussin.Michèle-Caroline Heck, 21.06.2010 Dann es sind soviel und unterschiedliche actiones und Posturen der Menschen/ daß es wol unmüglich/ sie alle in frischer und reiffer Gedächtnis zu behalten welche hingegen/ durch aufschlagung ermeldtes Büchleins/ allemal wieder zu gedächtnis geruffen und angebracht werden können. Der unmittelbar natürliche Ausdruck von Affekten in der Malerei wurde zu Sandrarts Zeit intensiv u. a. von den Carracci und Domenichino betrieben; insbesondere Letzterer hat auch Sandrart deutlich beeinflusst; vgl. Klemm, Kommentar Viten 1995, S. 906, Anm. 613,35–614,12.Christina Posselt, 26.05.2011

[Marginalspalte: Kunst und Fleiß müssen glücklich zusammen spielen.]Es sollen aber/ in aller Kunst und Fleiß/ der Verstand und die Hand des Künstlers/ glücklich und klüglich zusammen spielen/ und die Lieblichkeit/ sich also zur Vollkommenheit gesellen/ daß die Spectatores, nicht zur Furcht und Unlust/ sondern vielmehr zu herzlicher Freude über der perfection und Glücklichkeit des Meisters/ beweget werden. Es soll auch ein vollkommenes Werk/ mehr lebendig/ als gemahlet/ scheinen.

Les figures qui doivent ainsi apparaître sérieuses, en colère ou impétueuses, doivent avoir une forme audacieuse. D’autres que l’on place dans le lointain, doivent être ajoutées comme à la hâte, avec des couleurs très légèrement sombres et dégradées.

Mais en cela réside la plus grande maîtrise [de la peinture][Marginalspalte: Diminution des figures se tenant les unes derrière les autres.], à savoir qu’elle sache rendre les figures nues de manière vivante et naturelle, et les distribue les unes derrière les autres, et les augmente ou diminue peu à peu, de sorte que certaines ressortent, mais que d’autres, selon l’ordonnance, se perdent ou s’atténuent grâce à l’art de rompre les couleurs. Mais comment saisir cela et le mener à bien, il en est fait un rapport détaillé plus loin, à propos des peintures à l’huile et [Marginalspalte: La perspective doit être bien observée.] à d’autres endroits. Mais là, comme en toutes choses, la perspective doit être bien observée : c’est-à-dire que tout d’abord la partie entreprise soit se perde convenablement, soit se distingue et s’agrandisse selon la proportion du lieu et les règles. Ensuite, que l’ensemble, agencé de manière intelligente et exacte, selon la disposition de l’édifice, de la pièce et des colonnes, touche agréablement l’œil ; et qu’enfin tout comme l’édifice en perspective lui-même, les intensités ou éclats et les couleurs brillantes Le mot utilisé Gänze est sans doute une erreur, et il faut plutôt lire Glänze.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009 ou dures, comme cela a été dit plus haut, se perdent tranquillement. Et l’intelligence de l’artiste sera louée par une si bonne répartition.

[Marginalspalte: Le peintre doit souvent copier les manières de toutes sortes de personnes et les assembler dans un petit livre.]Quand il a également bien compris la perspective, et imprimé dans sa mémoire les parties et les corps de toutes choses, le peintre peut alors plus souvent se promener dans le monde où on peut rencontrer et voir des personnes de différents rangs. Là il peut alors observer leur façon et manière de travailler, de parler, d’agir, de se quereller, de rire, de se disputer et de se battre, comment ils se comportent, eux ainsi que les spectateurs qui sont tout autour. Il dessine tout cela sans timidité dans son petit cahier préparé à cet effet, et conserve celui-ci pour une utilisation bonne et appliquée Pratique proposée par Léonard de Vinci, utilisée par les peintres septentrionaux et mentionnée par Félibien à propos de Poussin.Michèle-Caroline Heck, 21.06.2010. Parce qu’il y a chez les hommes, tant de mouvements [actiones] En latin dans le texte.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009 et de postures différentes, qu’il est bien impossible de les garder toutes dans une mémoire fraîche et mûre : en revanche celles-ci, établies dans le petit livre susdit, pourront toujours à nouveau être appelées et portées à la mémoire.

[Marginalspalte: L’art et l’application doivent s’assembler avec bonheur.]Mais dans tout art et application, l’intelligence et la main de l’artiste doivent avec bonheur et intelligence, jouer l’une avec l’autre, et la grâce doit se joindre à la perfection, de telle sorte que les spectateurs En latin dans le texte.Michèle-Caroline Heck, 25.02.2009 ne soient pas touchés par l’horreur et le découragement, mais bien plus par une grande joie due à la perfection et à la réussite du maître. Une oeuvre parfaite doit aussi sembler plus vivante que peinte.


Originaltext

Übersetzung von Michèle-Caroline Heck