TA 1679, III (Malerei), S. 6
Sandrart (Fortsetzung von vorheriger Seite)Informat. zur Quellenmarkierung:In der Vorrede zum Malereikapitel legt Sandrart sein kompilatorisches Vorgehen offen, das durch eine kreative Zusammenstellung von Texten und der kritischen Stellungnahme Sandrarts einen produktiven Charakter erhält. Explizit werden Plinius, Vergil, Homer und Juan Luis Vives als Quellen benannt, auf die sich Sandrart bezieht, wenn er über die Entstehung und Entwicklung der Malkunst schreibt. Einige Ausführungen wiederholt Sandrart nach dem ersten Buch des zweiten Teils der TA 1675, die Vorrede schließt mit einer Inhaltsangabe des folgenden dritten Buches der TA 1679.Der Beginn des hier hervorgehobenen Textabschnittes befindet sich auf Seite 990
Ulyssis und der Polycasta, des Nestors Tochter. Eusebius schreibet/daß/ als Agrippa unter den Lateinern regiert/ Homerus bey den Griechen berühmt gewest sey/ stimmet also mit dem Apollodorus und Euphorbius , auf hundert vier und zwanzig Jahr vor Erbauung der Stadt Rom. Cornelius Nepos sagt hundert Jahr vorm dem ersten Olympus- Spiel. Woraus dann/ ungeachtet der widrigen Meynungen/ gnugsam zuschliessen/ daß die Mahlerkunst ist älter als die erste Olympische Jahr-Reiche und florirte bereits im Jahr der Welt 3090. vor Christi Geburt 872 Mahler-Kunst weit älter/ dann die Olympiaden/ sey. Dieweil sie bereits zur Zeit des Gesetzgebers Lycurgus, im Jahr der Welt dreytausend neunzig/ vor der Menschwerdung Christi acht hundert zwey und siebenzig geübt worden. Und/ wie Plutarchus nach der Rechnung Eratosthenes und Apollodorus, erzehlet/ so hat Lycurgus bereits viel Jahr vor dem ersten Olym-Spiel regiert. Einige wollen/ daß er den Homerus gesehen habe. Dieser Lycurgus wolte/ auf dem offentlichem Rahthause / keine Gemählde dulden/ weil/ wie er sagte/ selbige der Menschen Gemüter nachlässig/ weich und Weibisch machten.
Im Folgenden wiederholt Sandrart zusammenfassend die Angaben zur Entstehung und Verbreitung der Malerei, die er bereits in der Vorrede zum ersten Buch des zweiten Teils mit Rückgriff auf Vasari darlegt (vgl. TA 1675, II, Vorrede, S. 2).Wann wir nun/ von unten aufsteigende/ der Mahlerkunst Alterthum und Ursprung hervor suchen: wäre nicht zu verwundern/ so man behauptete Daß die Mahler-kunst wol vor der Sündflut schon mag gewesen seyn./ daß sie bereits vor der Sündflut erfunden: weil ohngefehr 200. Jahr nach selbiger Belus, der Sohn Nimrods/ das Bild machen lassen/ von welchem hernach die Abgötterey entstanden. Und ist wol zu vermuhten/ auch den Kunstverständigen leichtlich und vernünfftig zu schliessen/ daß die zwo Künste/ nemlich Mahlen und Bildhauen gleichen Ursprung gehabt. Die Weltberühmte Semiramis, Königin von Babylonien/ zierte die Stadt Babylon nicht allein mit verschiedenen Thier-Bildern/ so nach dem Leben gebildet und gefärbet waren/ sondern auch mit ihrer eignen/ wie nicht weniger ihres Gemahls des Ninus, Bildnis;
desgleichen mit noch andern Kunststücken von Kupffer: immassen Diodorus erzehlet. Zugeschweigen/ daß hernach ohngefehr hundert und funftzig Jahr/ in Mesopotamien beym Laban Bilder waren/ deren der getreue Prophet und Mann Gottes Moses gedencket. Aus welchen merckwürdigen Beweisthümern allen sattsam Die Mahlerkunst aus Chaldea durch Egypten in Griechenland nach Rom und von dar hieher gekommen. abzunehmen/ daß die Mahlerkunst eine sehr und uralte Kunst sey: und scheinet/ sie sey anfänglich/ nebst allem andern sinnreichen Fleiß und Geschickligkeit/ aus Egypten in Griechenland/ von dennen nach Rom/ und folglich auch hieher in die Nordische Länder kommen und ausgebreitet worden.
Belangend nun den ersten Erfinder derselben/ oder wie sie an den Tag und zum Vorschein kommen/ gleichwie sie eine edle freye Kunst ist/ die vormals bey den alten Römern anders nicht denn von edel-gebornen Leuten geübet werden mochte: immassen Plinius, im hunderten Capitel des fünf und dreysigsten Buchs/ erzehlet/ und folglich keines Weges unter die Handwercke oder Zünffte gerechnet wurde/ in Betrachtung sie eine stumme Schwester und Dolmetscherin der Geistreichen Poesey oder Dichtkunst ist Es handelt sich um den durch Plutarch überlieferten Ausspruch des Simonides, nach dem die Malerei eine stumme Dichtung sei (De gloria Atheniensium, III, 346f–347c); Horaz führte diesen Vergleich in den das Verhältnis von Poesie und Malerei prägenden Sinnspruch »ut pictura poesis«; vgl. Lee 1967.: Also wird von Einigen auch sehr artlich gedichtet/ daß sie ihren Ursprung und Ankunfft vom Narcisso habe: welcher in eine Blume verwandelt worden: aus Ursach/ weil sie die Blume aller Künste Gedichtete Ankunfft der Mahlerkunst aus Narcisso. ist. Darum auch die gantze Fabel vom Narcissus nicht unfüglich auf dieselbe aplicirt und gedeutet werden kan: denn was solte der schönen Gestalt dieses Jünglings/ so sich in dem Krystall-klaren Brunnen/ gleich als in einem Spiegel/zeigte/ wol besser und füglicher gleichen/ dann ein vortrefflich/ künstlich und nach dem Leben gemahltes Bild/ von der erfahrnen Hand eines kunstreichen Mahlers? Die Deutung von Narziss als dem Erfinder der Malerei geht auf Alberti zurück (De pictura II, 26), vgl. dazu Hans Aurenhammer: Narziss als Erfinder der Malerei: Spiegelungen im Werk Leon Battista Albertis, in: Orbis artium k jubileu Lubomíra Slavicka, hg. v. Jiri Kroupa/Michaela Šeferisová Loudová/Lubomír Konecný, Brno 2009, S.17–31. und muß ich mich/ indem ich dieses schreibe/ selbsten darüber verwundern/ wiewol diese Gleichnis alhier zu statten komme/ darinn ich unsere
In der Vorrede zum Malereikapitel legt Sandrart sein kompilatorisches Vorgehen offen, das durch eine kreative Zusammenstellung von Texten und der kritischen Stellungnahme Sandrarts einen produktiven Charakter erhält. Explizit werden Plinius, Vergil, Homer und Juan Luis Vives als Quellen benannt, auf die sich Sandrart bezieht, wenn er über die Entstehung und Entwicklung der Malkunst schreibt. Einige Ausführungen wiederholt Sandrart nach dem ersten Buch des zweiten Teils der TA 1675, die Vorrede schließt mit einer Inhaltsangabe des folgenden dritten Buches der TA 1679.Das Ende des hier hervorgehobenen Textabschnittes befindet sich auf Seite 997