TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 78
Mander (Fortsetzung von vorheriger Seite)Informat. zur Quellenmarkierung:Als Quelle liegt hier folgender Text zugrunde (vgl. Sponsel 1896, S. 9): Mander, Schilderboek, Wtbeeldinghe der Affecten, passien, begeerlijckheden, en lijdens der Menschen. Het seste Capittel, überprüft anhand der Ausgabe von 1604, vgl. Online-Ausgabe DBNL, fol. 22v–29r [Accessed: 2011-11-07. Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/63109NAfR]. Sandrarts Text zeigt allerdings nur eine sehr grobe Orientierung an dieser Quelle. Insgesamt fällt eine starke Relativierung der physiognomischen Eigenheiten auf. Auch differenziert Sandrart die Anweisungen, die er anhand von (meist antiken) Beispielen gibt, nicht (vgl. hierzu auch Rivius, Alberti oder Philostrat). Besonders abweichend ist ebenso die Behandlung der Temperamentenlehre, die Mander nicht berücksichtig (vgl. hierzu auch Lee 1967 zu Leonardo, Lomazzo und Lebrun), vgl. Klemm, Notizen zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 77.Der Beginn des hier hervorgehobenen Textabschnittes befindet sich auf Seite 164
ersticken. Hierdurch wird die Gebärung der Geister entweder allerdings verhintert/ oder/ obschon dieselbige zum theil gezeugt werden/ können sie doch nicht mit dem Geblüt frey und unverhintert ausgetheilt und ausgebreitet werden. Also verdirbet tödet die schöne Gestalt. die Lebens-Krafft/ die schöne und lebhafte Farbe verlischet/ und werden solche Personen ganz gelb/ wie die Erde/ trucken von Angesicht/ furchtsam/ widerwillig und verdrossen.
Die Furcht/ locket gleichfalls die Geister in des Wirkung der Furcht. Menschen Leib hinein: aber nicht langsam/ wie die Traurigkeit/ sondern geschwind und unversehens. Sie macht das Angesicht erbleichen/ die äuserste Glieder erkalten/ und den ganzen Leib erzittren. Endlich entgehet auch die Rede/ und bleibt gleichsam im Rachen stecken. Der puls des Herzens/ ist ungestüm: weil dasselbe/ von großer Mänge des Geblüts und der Geister/ so schnell Ursach des Aufstehens der Haare auf dem Haupt. überfallen wird. Die Haare stehen gen Berg und empor: weil fast alle Wärme/ samt dem Geblüt/ hinnein zu den innerlichen Gliedern entwichen/ daher die äuserste Glieder kälter und truckener/ als ein Marmelstein/ werden/ und die ganze Haut/ samt deren Luftlöchern/ erhartet; wodurch die Wurzeln der Haare/ als welche in denselben stecken/ starr werden und folgbar übersich steigen.
Wirkung der Schamhaftigkeit/ Die Schamhaftigkeit/ ist eine Gemütsregung/ aus Zorn und Furcht vermischt. Wann nun/ im Kampf dieser beyden Affecten/ die Furcht den Sieg behält/ so weichet das Geblüt hinein in den Leib/ das Angesicht erbleichet/ und entstehen allerley Zufälle/ nachdem die natürliche Wärme wenig oder viel in den innnersten Theil des Leibs zusammen getrieben wird. Im gegentheil/ wann der Zorn obsiget/ so kehret der Lauf des Geblüts zurück in die Augen/ daß sie entbrennen und schimmern: worbey zuweilen auch der Mund schaumet.
und Angst. Die Angst/ welche aus großer Furcht/ und häfftigem Zorn vermischt ist/ bewegt das Herz mit diesen beyden Affecten zugleich: dadurch die Lebens-Kräffte in äuserste Noht und Gefahr gerahten.
Neun andere Gemütsregungen. Zu diesen Sechs Gemütsregungen/ werden alle andere referirt und gezogen: als der Haß und die Zweytracht/ zum Zorn; die Leichtsinnigkeit und Ruhmsucht/ zur Freude; der Schrecken und die Kleinmütigkeit/ zur Furcht; die Mißgunst/ Leid und Verzweiflung/ zur Traurigkeit. Und hieraus erhellet genugsam/ wie vielfältig die Affecten/ des Menschen Gestalt/ Angesichter/ Gebärden und Farbe/ verändern können. Maßen das Angesicht/
Das Angesicht/ ist des Herzens Uhr-Zeiger: gleichsam der Zeiger ist/ an dem Uhrwerk des Herzens/ und die Stirn dessen Bewegungen anzusagen pfleget.
Ja so gar ist das Angesicht gleichsam eine Figur macht die Menschen und Nationen vor einander unterscheiden und erkennen. des innerlichen Menschen/ daß man daraus einen alten Mann von einem jungen/ ein Weib von einem Mann/ einen Mäßigen von einem Unmäßigen/ einen Gesunden von einem Kranken; auch die Nationen/ einen Mohren von einem Indianer/ einen Franzosen von einem Spanier/ einen Teutschen von einem Italiäner/ endlich auch einen Lebendigen von einem Todten/ leichtlich unterscheiden kan. Und dieses geschihet eben darum/ weil man/ aus dem Angesicht/ das Gemüte und die Sitten des Menschen/ auch oftmals/ was im tiefsten seines Herzens verborgen liget/ errahten kan. Ähnlich heißt es bei van Mander über die Affekte als den vornehmsten Teil der Kunst (vgl. Mander, Schilderboek, Wtbeeldinghe der Affecten, passien, begeerlijckheden, en lijdens der Menschen. Het seste Capittel, überprüft anhand der Ausgabe von 1604, vgl. Online-Ausgabe DBNL, fol. 27r f. [Accessed: 2011-11-07. Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/63109NAfR]) und bei Leonardo (vgl. Leonardo, Trattato (1651), Come si de’ cognoscere una buona pittura, et che qualità de’hauere à esser buona, überprüft anhand der Ed. Ludwig 1882, Kap. 409, Bd. I, S. 400 f.); siehe Klemm, Notizen zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 78.
Mahlere/ Oratores und Poeten/ haben einerley Zweck ihres Beruffs. So wird nun der/ so in dieser Wissenschaft andere übertrifft/ billig für den grösten Meister gehalten: gleichwie der nur für einen mittelmäßigen Künstler passirt wird/ der diese erzehlte Affecten nur etlicher maßen wahrnimmet. Die aber/ so gar nichts hierinn thun können/ sind nur für Sudler zu halten: wie sehr sie auch ihnen selbst/ mit Kunst-Einbildung/ schmeichlen mögen. In der lateinischen Ausgabe (Sandrart, Academia 1683, S. 12) findet sich an dieser Stelle ein Zusatz, der vermutlich auf Theodor Rhodes »ut pictura poesis«-Konzept zurückgeht, mit dem berühmten Horaz-Zitat und einem Verweis auf Homer, vgl. Klemm, Notizen zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 78.
Die Mahler-Kunst/ hat auch dißfalls eine Verwandschaft mit der Red- und Dicht-Kunst: weil/ nach der Aussage Tullii, auch ihnen/ wie den Oratoren und Poeten obliget/ zugleich zu unterweisen/ Diese Wissenschaft macht einen fürtrefflichen Mahler. zu belüstigen und zu bewegen. Ihr Pflicht bringet mit sich/ (sagt er) daß sie uns sollen unterweisen/ ihre Schuldigkeit ist/ zu Vermehrung ihrer Ehre/ daß sie uns sollen belüstigen; die Notturft ihres Beruffs erfordert/ daß sie unsere Herzen bewegen sollen. Je fürtrefflicher und höher aber eine Kunst oder ein Ding ist/ je tauglicher ist sie/ uns zu bewegen.ManderInformat. zur Quellenmarkierung
Als Quelle liegt hier folgender Text zugrunde (vgl. Sponsel 1896, S. 9):
Mander, Schilderboek, Wtbeeldinghe der Affecten, passien, begeerlijckheden, en lijdens der Menschen. Het seste Capittel, überprüft anhand der Ausgabe von 1604, vgl. Online-Ausgabe DBNL, fol. 22v–29r [Accessed: 2011-11-07. Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/63109NAfR].
Sandrarts Text zeigt allerdings nur eine sehr grobe Orientierung an dieser Quelle. Insgesamt fällt eine starke Relativierung der physiognomischen Eigenheiten auf. Auch differenziert Sandrart die Anweisungen, die er anhand von (meist antiken) Beispielen gibt, nicht (vgl. hierzu auch Rivius, Alberti oder Philostrat).
Besonders abweichend ist ebenso die Behandlung der Temperamentenlehre, die Mander nicht berücksichtig (vgl. hierzu auch Lee 1967 zu Leonardo, Lomazzo und Lebrun), vgl. Klemm, Notizen zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 77.Der Beginn des hier hervorgehobenen Textabschnittes befindet sich auf Seite 164
Dieses Gedicht findet sich in leichter Variation des Wortlauts in Sigmund von Birkens handschriftlich erhaltener Sammlung Birken-Wälder unter Nr. 377, tituliert »Der Redner, Poet und Mahler« (fol. 248r), vgl. Paas 1990, S. 233, Stauffer 2007, Bd. II, S. 907 sowie Klemm, Notizen zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 78 und Laufhütte 2011, S. 24.Es dichten ja zugleich/ der Mahler und¶ Poet;
es muß auch sinnen aus der Redner seine Red:
Gemälde/ Vers’ und Wort’/ ist was die¶ dreye bringen.
Es redet das Gemähl und spielet im Gedicht;
der Redner und Poet auch Wörter-Farben¶ spricht;
Nach Nützung sie zugleich und nach Er-¶ getzung ringen.
So sind sie dann verwandt/ so sind sie alle¶ drey
belobet und beliebt/ Mahl-Redner-Dichte-¶ rey.BirkenInformat. zur Quellenmarkierung
Dieses Gedicht findet sich in leichter Variation des Wortlauts in Sigmund von Birkens handschriftlich erhaltener Sammlung Birken-Wälder unter Nr. 377, tituliert »Der Redner, Poet und Mahler« (fol. 248r), vgl. Paas 1990, S. 233, Stauffer 2007, Bd. II, S. 907 sowie Klemm, Notizen zu TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 78 und Laufhütte 2011, S. 24. Ajout dans l’édition latine: [Optime igitura Plutarcho dictum : Poeticam esse picturam loquentem ; Picturam vero poesin mutam : qui utraque multa invenit multa fingit, multa mentitur utraque proxime inventa sua ad rerum naturam accomodat. Et Pictor et poeta utile ac jucundum intuentur ; uterque a turpium rerum imitatione abstinere debet : uterque nascitur Artifex non fit ; et minus studio, quam natura valet. Calamus ergo penicilli, penicillus calami aemulus est ut alter alteri laboris sui commodet usum. Unde Horatius: Ut Pictura, Poesis erit ; quae si proprius stes, Te capiet magis et quaedam si longius abstes. Duos certe Homeri versus Euphranori ad pingendum Jovem, Phidiae, ad sculpendum praebuisse archetypon traditur scribere, sed et legi dicitur, juxta illud Stratii lib.1 Sylv. ..Apellae cuperent te scribere cerae. Et Virgili lib. 6 Aeneid. De rebus pictis a Daedalo : Quiprotimis omnia Pelegerent oculis]. Namque simul fingit Pictor, pariterque Poeta : Fictaque et in magno Rhetore verba valent. Est que Poema oculis, animo et Pictura perorat : Est que color verbis, quos capit Effigies. Et prosunt omnes hi, delectant que colore ; Tam cognata manent carmina, lingua, manus.