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TA 1679, II (Skulptur), S. 64

Sandrart (Continued from previous page)Informat. on source text markers:
Die Titus-Biographie basiert in weiten Teilen auf Sueton, De vita Caesarum, Titus, sie enthält jedoch auch Angaben aus Texten anderer antiker Autoren. Unter den zahlreichen kommentierten Neuausgaben in lateinischer Sprache, aber auch in Übersetzungen, die Suetons Kaiserbiographien im 17. Jahrhundert erfuhren, konnte die Ausgabe, die Sandrart bzw. seinen Mitarbeitern als Grundlage diente, bislang nicht eruiert werden. Daher muss die Frage offen bleiben, ob die Passagen, die sich nicht auf Sueton zurückführen lassen, den Annotationen einer neuzeitlichen Ausgabe folgen oder das Ergebnis des Quellenstudiums eines der Redakteure darstellen. Für die Redaktionsarbeit des 1679 erschienenen Teils der Academie wurden zuletzt Martin Limburger und Christoph Arnold in Betracht gezogen; s. Laufhütte 2011, S. 19.Carolin Ott, 08/03/2012The beginning of this part of the text is on page 952
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aus blossem Neid gegeneinander/ 140 offentliche Kornhäuser in Brand/ da dann gemeiner Stadt Vorraht völlig in die Asche gelegt worden/ und bey so grosser Mänge Volks notwendig eine Theurung und Hungersnoht erfolgen müssen. Also starbe eine unglaubliche Anzahl Menschen/ die/ aus Mangel anderer Speise/ Esel/ Hunde/ Katzen/ Mäuse und dergleichen unreine Thiere/ endlich gar das Leder von Gürteln/ Schuhen und Schilden/ gefressen. Bey etlichen fande man noch das Heu im Munde/ welches sie geschlucket. Man suchte überall hervor den Taubenkoht/ den sie gedörret und für Salz theur verkaufet/ auch anderen Unflat. Es wurden die Cloaken ausgeleeret/ und die Leichname der Todten zerstücket. Die Hausgenossen raufften sich darum/ wann sie etwan ein Stück Brod oder Fleisch gefunden/ und rissen es die Kinder den Eltern/ die Brüder den Schwestern aus den Mäulern. Um dieser Noht willen/ liefen ihrer viele aus der Stadt in des Feinds Lager/ die ihr Gold verschlucket/ daß man es ihnen nicht abnehmen möchte/ und es nachmals im Lager aus ihren Koth wieder hervorgesuchet. Als man dieses an einem ersehen/ und darauf das Geschrey durch das Lager liefe/ die Uberläufer wären Gold-schwanger/ wurden in einer Nacht über 3000 Juden die Bäuche aufgeschnitten: und halfe nichts dawider/ daß Titus solches verbieten lassen. Als man endlich nichts mehr in ihnen fande/ wurden die Uberlaufer wieder zuruck in die Stadt gejaget/ und/ als sie nicht fortwolten/ vor dem Lager gekreutziget. Aber der Hunger war so groß/ daß sie auch diese Hinrichtung nicht scheueten: Daher es endlich am Creutzen/ und an Richtplätzen manglete/ und liesse er ihnen endlich die Hände abhauen/ womit er sie zurücke gehalten. Eines edlen Juden Weib nahme ihren Sohn/ und als sie ihm die Gurgel abschneiden wolte/ sagte sie: mein Kind! wem soll ich dich aufbehalten/ in diesem Kriegsjammer/ in der Hungersnoht/ in soviel zweyspälten? Wirst du dann den Römern zu theil/ so must du ein Slave werden. Bleibst du hier/ so must du Hungers sterben. So sey dann meine Speise! ich wil dich in meinem Leib begraben/ darinn ich dich zur Welt getragen habe. Darauf hat sie das Kind geschlachtet und gebraten: Da der Geruch die Soldaten herbey gelocket/ die ihr das Fleisch wieder zum Theil aus dem Mund gerissen. Titus/ als er solches mit Bestürzung vernommen/ sagte hiervon: Wir sind zu streiten gekommen/ nicht mit Menschen/ sondern mit wilden Thieren. Aber die Bestien sind noch gelinder/ die/ ob sie schon von geraubtem Fleische sich nehren/ doch ihrer Jungen verschonen. Hier fressen die Mütter die Glieder/ die sie gebohren haben. Ich bin unschuldig an dieser Ubelthat/ und also stehe ich vor dir/ du himmlische Macht/ wer du auch seyn magst. Du weist/ wie ich von innigstem Herzengrund ihnen den Frieden angeboten: ja/ das ich fast schäme zu sagen/ ich der Uberwinder habe sie darum gebeten. Ich hätte auch/ wiewol sie so grosse Unruhe angerichtet/ ihrer gern verschonet: Ich hätte gern die Nation/ und die Stadt/ erhalten. Aber was habe ich anders thun können/ da sie keinen Frieden annehmen wollen?

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und grausame Pestilenz. Auf diese erbärmliche Hungersnoht/ folgte eine grausame Infection von der Pestilenz: an welcher in der Stadt/ wie ein Uberläufer ausgesagt/ 115080 Personen gestorben. Egesippus berichtet/ man habe/ in Zeit der Belägerung/ 600000 todte Körper vor die Stadt hinaus geworfen: und die/ so in der Stadt bergraben worden/ seyen nicht zu zehlen gewesen. Josephus schreibet/ es seyen/ in solcher Zeit/ 110000 Leichname gefunden worden. Daher Titus, als man ihn hiervon ümständlich berichtet/ mit innerster Betaurung aufgeruffen: O Gott/ du sihest ja/ daß ich diß alles nicht thue. Er hätte bässer gethan/ wann er von den Christen sich hätte berichten und belehren lassen/ wie die Juden allen diesen unerhörten Jammer an dem Sohn Gottes JEsu Christo verdienet/ und wann er daraus gestudirt und erkennet hätte/ was für ein mächtiger grosser Gott von den Christen verehrt und angebetet würde.

Gefangenschafft der Jüden. Sonsten hat man/ diese Zeit über/ 97000 Juden gefangen: unter denen Simon/ der eine von den Hauptleuten/ sich selbst ergeben. Aber der andere/ Johannes genannt/ ist mit 2000 seinen Leuten in einer Cloak schändlich verdorben. Die ansehnlichsten unter den Gefangenen/ wurden/ neben ernenntem Simon/ aufbehalten/ daß sie im Triumf in Rom mit einzögen. Derer/ die über 17 Jahre alt waren/ wurden 17000 nach Alexandria gesendet/ alda (gleichwie auch vor uralters ihre VorEltern in Egypten haben thun müssen) allerley Last zu tragen. Andere 3000 wurden zu Cäsarea den wilden Thieren fürgeworfen/ oder musten miteinander sich zu todt kämpfen/ als Titus daselbst seines Bruders Domitiani, und wiederum etliche tausend/ als er zu Berytho seines Vatters/ des Kaisers/ Geburts Fest begienge. Die übrigen wurden/ als Knechte/ in alle Länder zerstreuet: damit dieses erschreckliche Straff-Exempel aller Welt vor Augen möchte gestellt werden. Und ist sehr merkwürdig/ daß die soviel tausend übrige/ so das 17 Jahr noch nicht überlebet/ ihrer dreissig um einen Silberling verkaufet worden: Da sie vorher/ dem Verrähter Judae, eben soviel für den unschuldigen JEsum gegeben.

Verwüstung der Stadt Jerusalem. Nachdem die Stodt Jerusalem erobert worden/ ließe sie Titus bis auf den Boden schleiffen/ daß kein Stein auf dem andern bliebe/ wie ihnen Christus geweissaget hatte: Damit die aufrührische Juden solche nicht wieder aufbauen könten. Sie war aber so groß/ vest und wolbesetzt gewesen/ daß Titus sich verwundert/ wie er sie erobern können/ und daher zu seinen Freunden gesagt: Ach ihr lieben! an diesem Ort haben wir mit Gott gesieget. Als man ihme auch nachmals/ auf der Ruckreise nach Rom/ in Egypten Siegskränze aussetzen wolte/ widersagte er solchem/ mit diesen Worten: Ich habe diesen Krieg nicht ausgeführet/ sondern allein Gott meine Hände geliehen/ der diß Volk wegen ihrer Verschuldung züchtigen wollen. Diese Verwüstung/ hat ihnen/ erstlich der Profet Daniel vorverkündet/ indem er aufgeschrieben/ wie es beschlossen sey/ daß solche Verwüstung bis ans Ende

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Die Titus-Biographie basiert in weiten Teilen auf Sueton, De vita Caesarum, Titus, sie enthält jedoch auch Angaben aus Texten anderer antiker Autoren. Unter den zahlreichen kommentierten Neuausgaben in lateinischer Sprache, aber auch in Übersetzungen, die Suetons Kaiserbiographien im 17. Jahrhundert erfuhren, konnte die Ausgabe, die Sandrart bzw. seinen Mitarbeitern als Grundlage diente, bislang nicht eruiert werden. Daher muss die Frage offen bleiben, ob die Passagen, die sich nicht auf Sueton zurückführen lassen, den Annotationen einer neuzeitlichen Ausgabe folgen oder das Ergebnis des Quellenstudiums eines der Redakteure darstellen. Für die Redaktionsarbeit des 1679 erschienenen Teils der Academie wurden zuletzt Martin Limburger und Christoph Arnold in Betracht gezogen; s. Laufhütte 2011, S. 19.Carolin Ott, 08/03/2012The end of this part of the text is on page 957