TA 1675, I, Vorrede, S. 2
Vasari (Continued from previous page)Informat. on source text markers:Als Quelle liegt hier folgender Text zugrunde (vgl. Sponsel 1896, S. 3): Vasari, Le Vite 1568, Proemio di tutta l’opera, überprüft anhand der Ed. Bettarini/Barocchi, vgl. Online-Ausgabe SNS, Bd. I, S. 9–S. 30. Einige Passagen kürzt Sandrart und verleiht der Argumentation durch zahlreiche rhetorische Figuren eine besonders eindringliche Gestalt (vgl. dazu Schreurs 2010(b), S. 255 f.).The beginning of this part of the text is on page 12
köstliche Naturen von bäster Complexion, eifrigem und belebtem Geist/ unterrichtet und an sich ziehet. Ich bin die jenige/ welche unzahlbare Jahre vor dieser meiner Gegnerin gebohren worden. Ich bin die jenige/ deren sich der überirdische höchste Künstler/ in Plasmir- und Ausformung des ersten Menschen/ zum ersten bedienet. Ich bin die jenige/ deren so viel andere fürtrefliche Künste zu Füßen fallen/ und ihr sich freywillig unterwerfen: Dann/ wem zu Dienst wurden die Bassi rilievi ersonnen/ die Plasmirung der Bild-Seulen aus Erde/ Wachs und Gyps/ erfunden? Mir/ der Scultura! Wer kunte erstlich in Stein/ Marmor und Erz arbeiten? Ich/ die Scultura! Meine Werke können durch das graue Alter und lange Zeit nicht gestürzet werden/ weil sie von einem solchen Stoffe zubereitet sind/ den kein Ungewitter/ Hitze oder Kälte/ Regen oder Schnee/ verzehren mag: daher sie zu allen langjährigen Denkmalen viel mehr/ als einige Pictura, welche bloß in den geheimesten Zimmern will eingeschlossen und verwahret stehen/ ersprießlich sind. Es ist auch der Mahlere fast eine solche Mänge anzutreffen/ daß sie die Laub und Blühten der Bäume/ und das Gestirne des Nacht-Himmels in der Anzahl weit übertreffen: weil zu solcher Kunst alle Complexion tauglich/ und nicht nur eine leichte und hurtige/ sondern auch eine sichere und langsame Zur Bildhauerey wird eine mehr-lebhafte und geistige Complexion, als zur Mahlerey/ erfordert. Hand/ alles verrichten kan. Hingegen ich/ die Scultura, erfordere nur eifrige hochbegeisterte Köpfe/ so wol bey den gemeinen Meistern/ als bey den berühmten Künstlern. Aus diesem allem ist mein Adel und billicher Vorzug sattsam zu erkennen. Glaubet hierinn/ wo nicht mir/ doch dem alten und langlebigen Naturkündiger Plinio: der wird euch sagen/ daß die Antichen/ so unser beyder Bildnußen vorstellig gemacht/ das meine aus pur- und klarem Golde/ hingegen der Pictur ihres aus Silber verfärtigen lassen/ und wurde das meine zur Rechten/ jenes aber zur Linken gestellet; womit ja mein über die Mahlerey habender Vorzug ausdrucklich angedeutet worden.
Der Bildhauer arbeitet an einem fürtreflichern Stoff/ als der Mahler. Ich wil hiebey nicht anziehen die Köstlichkeit des Stoffs/ in welchem ich arbeite/ indeme mir die köstlichste Steine/ als Porfyr/ Jaspis/ Serpentin/ Marmor/ und andere/ ja wol auch Gold/ Silber/ und andere fürnehme Metalle/ unter die Hand geliefert werden: da hingegen die armselige Pictur, mit geringen und schlechten Färblein/ und mit einem Fetzen Tuch oder Leinwat/ sich mus beschlagen und befriedigen lassen. Ich fuße und gründe mich auch darauf/ daß eine Sache um so viel köstlicher/ vollkommen- und schöner Die Köstlichkeit einer Kunst-Sache/ wird nach der wahren lebhaften Natürlichkeit beurtheilet. ist/ je mehr sie von der Natürlichkeit in sich hat. Nun erreiche ich/ die Scultur, ja punctual die wahre und rechte Gestalt; ich entbilde mein Object, daß es auf allen Seiten völlig sichtbar und zu betrachten ist/ als ob
das lebendige Formular selbst zugegen wäre. Also kan ich mit Memnons Kunst-Bilde/ bey Aufgang der Sonne/ mein Wort fürbringen. Hingegen kan die Pictura, mit ihrem leichtsinnigen Pensel/ durch so vielfältige Mühe und Beschwerde/ kaum den Schatten einer Die Scultur erfodert einen vollkommenen Verstand und Erkäntnis der Steine: weil ihre Fehler nicht/ wie bey den Mahlern/ zu ersetzen sind. Gleichheit erwerben. Endlich so erfordere ich/ die Scultura, alle Vollkommenheit und Verstand/ aller Steine nicht gemeine sondern vollkommene Erkäntnus/ und daß man eines jeden Natur und Eigenschaft wol zu prüfen wisse/ damit man/ in deren Ausarbeitung/ sich nicht allzuweit verliere und einen Fehler schieße/ der nimmermehr zu vermitteln und zu verbäßern ist; da gegenseits die Mahlere allezeit mit ihrem Pensel darüber fahren/ und ihre begangene Irrgänge mit einem Polizey-Mäntelein verbergen können.
Dieses plauderte/ zum Verdruß des Gehörs/ doch nicht ohne Grund/ die Scultura: Der Pictur Gegen-Antwort/ und Ursachen ihres Vorzugs da im Gegensatz die Pictura mit wenig Worten/ ihren Vorzug gleichfalls vertädigte/ und dergestalt zu reden anfienge.
Indem meine Gegnerin/ die Scultura, mit einer mächtigen Wörter-Mänge/ ganz hochmütig und vermessen/ ihr selbst die Praeeminenz Die Kunst zu plasmiren stehet so wol den Mahlern als Bildhauern zu. und den Vorzugs-Adel zugeschrieben/ fußet sie erstlich auf den Ur-Vatter unsers menschlichen Geschlechtes: als welcher/ von dem himmlischen Erz-Künstler/ aus Lämen und Erde posirt/ plasmirt/ und gleichsam zu einem beredten Bild und Statue gemacht worden. Nun ist aber dieses auch mir/ als der Pictur und Mahler-Kunst/ zuständig: maßen ich in Griechischer Sprache Plastice, zu Latein Pictoria, und bey den Teutschen Mahlwerk/ Plasmatura und Posirung benahmet werde. Es hat auch Praxiteles Vasari bezieht sich hier auf eine Pliniusstelle (Plin. nat. 35, 156), in der jedoch der römische Bildhauer Pasiteles und nicht Praxiteles genannt wird (vgl. Vasari (dt.), S. 31, Anm. 26)., der trefliche Bildhauer und Statuarius, die Mahlerey/ als eine Seugmutter seiner Kunst/verehret/ und solche zum öftern ihre Tochter benamet; weil/ aus Zeichnung und Abriß der Pictur, die Scultura entstanden. Dann ehe und bevor der Bildhauer auf den Stein oder andern Stoff arbeitet/ designiret und zeichnet Die Zeichnung/ so den Bildhauern notwendig/ gehöret eigentlich den Mahlern zu er ihme nohtwendig in seinem Concept und Verstand/ wie er dieses und jenes proportionirlich zur Stell bringen wolle: welches nichts anders/ als ein Abriß oder Zeichnung/ diese aber der Mahlerey Erstling/ ist. Daß aber/ durch die ihr unterworffene und untergebne Künste/ die Scultura sich aufblähet und mir vorschätzbar macht/ ist wol zu belachen. Dann/ wem sind die Künste mehr diensthaft/ als mir/ der Mahlerey? Woher rühret die sinnreiche Erfindung und köstliche Dicht- Kunst der Historien? Woher/ die lang-gepriesne Zeichen- und Abriß-Kunst? Woher/ jede Abmessungen und Auszirklung der Welt-berühmten Bau-Kunst? Woher/ Unterschiedliche schöne Künste/ die von der Mahler-Kunst ihren Ursprung genommen. die Lust-volle Prospectiv-und Optica, das Arbeiten alla tempera, in fresco und al’ olio? Woher/ die Kunststucke auf Tafeln/ Kupfer/
Als Quelle liegt hier folgender Text zugrunde (vgl. Sponsel 1896, S. 3): Vasari, Le Vite 1568, Proemio di tutta l’opera, überprüft anhand der Ed. Bettarini/Barocchi, vgl. Online-Ausgabe SNS, Bd. I, S. 9–S. 30. Einige Passagen kürzt Sandrart und verleiht der Argumentation durch zahlreiche rhetorische Figuren eine besonders eindringliche Gestalt (vgl. dazu Schreurs 2010(b), S. 255 f.).The end of this part of the text is on page 15