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TA 1679, Metamorphosis, S. 113

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Oedipus tödtet unwissend seinen Vatter. Vatter in der Landschafft Phocis finden würde. Als er nun dahin kommen/ begegneten ihme seine Eltern und Blutsfreunde ohngefehr/ wiewol gantz unbekandt auf dem Wege. Laius/ als welcher ihn ebenmässig nicht kandte/ auch nicht meinte/ daß er mehr lebte/ rieff ihm sehr ernstlich zu/ und gebot ihm hochmühtig aus dem Wege zu weichen/ er dargegen wolte nicht/ sondern ergriff seine Waffen und brachte also seinen Vatter aus Unwissenheit um. Als er nun von dannen flohe/ kam er nachgehender Zeit nach Theben. Nach dem Tode Von dem fremden und grausamen Sphinx des Laius herrschte allda Creon/ des von einem fremden Mann erschlagen Laius Befreunder. Nun hatte die Juno/ der Thebaner Feindin/ ihnen zugesand ein grausam Ungeheuer/ Namens Sphinx/ eine Brut des Typhons/ und der Echidna: welche Misgeburt sie ohn unterlaß greulich plagte. Der Gestalt nach hatte dieses Wunder einen Jungfrauen-Leib/ und Haupt/ Löwen-Füsse und Schwantz/ und Flügel wie ein Vogel/ oder (wie Clearchus sagt) ein Jungfraun Haupt und Hände/ einen Hunds-Leib/ Menschen-Stimme/ einen Drachen-schwantz und Löwen-Klauen. Andere sagen/ der vordere Leib habe einem Löwen geglichen/ Greiffen-Klauen und Adlers-Flügel gehabt. Dieses Ungeheuer war eine Geissel der Thebaner/ und enthielte sich an dem Wege in einem Berge/ Sphincus/ oder Sphyceus genannt. Dieser Sphynx kam aus seiner Hölen hervor/ fiel die vorbeygehende an/ und gab ihnen allezeit einige arglistige Fragen/ oder dunckle Rähtsell aufzulösen/ welche ihm die Musen lerneten: und wer dieselben nicht errahten/ oder auflösen konte/ Des Sphinxes Rähtsel. der wurde von seinen grausamen Klauen augenblicklich zerrissen und getödet. Solche Rähtsell waren gerichtet nach der Lands-Art derer/ die vorüber giengen. Den Thebanern aber gab es diese Frage auf: Welches Thier des Morgens vierfüssig/ des Mittags zwey- und des Abends dreyfüssig wäre? welches Asclepiades mit diesen Worten ausspricht:

Vier Füsse/ zween/ und drey hat ein gewisses Thier/
Das nichts hat/ als die Stimm/ und Stim- me ändert schier/
Das sonst kein Thier nicht thut/ so in den Lüfften schwebet/
Noch das in Seen schwimmt/ noch das auf Erden lebet.
Wann aber dieses Thier muß auf viel Füssen stehn/
Dann pflegt ihm alle Krafft und Ju- gend zu vergehn.

Die göttliche Vorsehung oder Verhängnus aber war über diesen Sphinx/ daß er/ so bald ein Mensch seine Frage würde auflösen/ sterben müste: Nachdem er nun einen guten Theil/ die sich vergeblich bemühet/ dieses Rähtsel aufzulösen/ jämmerlich ermordet hatte/ ließ Creon durch Drommeten-Schall ausruffen/ daß/ wer dieses Rähtsel errahten/ und also das Land von solcher greulichen Plage befreyen würde/ die Thebische Cron und Königreich zu Lohn und die schöne Jocasta/ des Königs Laius hinderlassene

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Wittwe/ zur Gemahlinn haben solte. Als Oedipus löset das Rähtsel auf wird König von Thebes und trauet unwissend seine Mutter. nun Oedipus nach Theben reisen wolte/ fand er auf dem Wege diesen Sphinx/ dessen Rähtsel er auflöste/ und also auslegte: Das vorgestellte Thier/ sagte er/ ist der Mensch/ der in seiner Kindheit auf Händen und Füssen kriechet: dahero von ihm gesagt wird/ daß er auf vier Füssen gehe/ dann wiederum zwey Füsse habe; wann er aber mit Alter beschweret/ und sich an einen Stab zu halten pfleget/ spricht man/ daß er dreyfüssig sey: da er dann alle Krafft verlieret. Als nun dieser Sphinx die Auslegung gehört/ ergrimmte er dermassen/ daß er sich von einer hohen Klippen stürtzete/ und den Hals brach. Wordurch die Thebaner von seiner Grausamkeit erlöst wurden. Oedipus zoch/ als ein Obsieger/ in Theben ein/ und weil man ihn für einen Sohn des Königs Polybus hielte/ wurde ihme das Reich von Theben/ und Jocasta/ seine leibliche Mutter/ iedoch unwissend/ zum Weibe gegeben/ mit welcher er zeugte zween Söhne/ den Etheocles und Polynices/ wie auch zwo Töchter/ Antigone und Ismene/ also daß seine Kinder/ auch seine leibliche Brüder und Schwestern waren. Als nun endlich dem Oedipus seine eigene Blutschand/ und der begangene Vatter-mord offenbar ward/ überfiel ihn eine solche Betrübnus/ daß er sich zur Straffe selbst die Augen ausstach. In solcher Blindheit ließ er sich/ von seiner Tochter Antigone/ leiten/ verließ sein Reich und bestättigte seine Söhne darinnen/ daß einer ein Jahr um das andere regieren solte/ er aber erhub sich nach Athen. Nachdem diese Brüder sich dergestalt mit einander vereinigt/ und der älteste das Reich das erste Jahr besessen hatte/ wolte er seinem Bruder dasselbe nicht abtreten/ sondern sagte/ es schicke und gezieme sich nicht/ daß ein Reich zwey Könige haben solte. Und weil Polinices hiermit übel zu frieden war/ verfügte er sich zum Könige von Argos dem Adrastus/ der ihm seine Tochter/ die schöne Argia/ zum Weibe gab/ ihm auch mit noch fünff andern tapffern Herren und Kriegs-Obristen Gesellschafft leistete/ seinen Bruder zu bekriegen und Theben zu belageren. Welches mit guter Anstalt/ und grosser Heeres-Kraft geschahe. Zu diesem Thebischen Kriege bedorffte man insonderheit des Weissagers Amphiaraus: welcher aber/ weil er zuvor sahe/ daß er bleiben würde/ sich mitzuziehen weigerte/ und deswegen verborgen hielte. Sein Weib Eriphyle aber betrog und verrieht ihn selbsten: dieweil sie mit dem güldnen Halsband/ worinnen so viel böses versehen war/ sich bestechen lassen: dieses Halsband hatte Vulcanus geschmiedet/ und die Venus am ersten der Hermione/ einer Tochter des Menelaus/ und der schönen Helenen gegeben. Weil dann Eriphyle nach diesem Halsbande sehr begierig war/ verrieht sie ihren Mann. Dieser nun/ weil er mit fort muste/ und wol wuste/ daß er nicht wieder kommen würde/ und sein Weib die einige Ursächerin seines Todes wäre/ befahl seinem Sohne Alcmaeon/ wann er umkommen würde/ seine Mutter deswegen gleichfalls zu töden. Es stunde aber nicht lange an/ daß Amphiaraus/ als er vor Thebe auf seinem Wagen saß/ von der Erden verschlungen: und Capaneus/ dem vorher geweissagt worden/ daß er von