TA 1675, Lebenslauf, S. 9
Sandrart (Continued from previous page)Informat. on source text markers:Der Lebenslauf, den Sandrart entgegen seiner auf Bescheidenheit zielenden Aussage wohl selbst verfasst hat (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 4), erfuhr durch Sigmund von Birken deutliche sprachliche Eingriffe wie aus dessen Korrespondenz und Tagebucheintragungen ersichtlich wird (vgl. Klemm 1995; Laufhütte 1998, S. 25–29; Möseneder 2000, S. 163; Laufhütte 2011). Die im Lebenslauf vertretenen Leitmotive von Geburts- und Kunstadel, von Tugendidealen, den Kontakten mit Herrschern und Gelehrten sowie der Idee einer neuen deutschen Kunst vor dem Hintergrund eines europäischen Lebenswandels stilisieren Sandrart zu einem würdigen Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft (vgl. Meier 2004, S. 223–227). Besonders die Qualitäten von Sandrarts Malerei werden durch Georg Philipp Harsdörffer bezeugt (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 19 f.), vgl. dazu Schreurs 2010(c), S. 128–132.The beginning of this part of the text is on page 621
beyde die Schwester von neuem selber zugeführet/ und um Perdon des vorgelauffenen Irrtums gebeten: welches Er/ nachdem Er die Sporen hinweg geleget/ mit Dank annahme/ und nachgehends/ durch ein angenehmes Gläslein-wechslen/ mit ihnen lustige gesellschaft machte.
Seine Ankunft in Florenz/ In der herrlichen schönen Stadt Florenz (die billig eine Residenz aller Künste zu nennen ist) fande Er/ als Er folgends hinein gekommen/ die fürtrefflichste Werke des Michaël Angelo, Leonardo da Vince, Andrea del Sarto, und anderer Künstlere/ die des Groß Herzogs Kunst-Cammer und Palast nella ritonda bereichert hatten. Weil aber die Hitze herzu nahete/ eilete Er mit le Blon über das Apenninische Gebirge/ durch Siena, Aquapendente und Monte Fiascon: bis er endlich/ Viterbo vorbey/ über die herrliche und zu Rom Straße Flaminia nach Rom gelangte.
Er macht daselbst kundschaft mit den bästen Mahlern und Bildhauern/ und gastirt dieselben: Allhier beflisse Er sich ungesäumt/ mit allen denen/ die in der Mahlerey-Kunst und Bildhauerey fürtrefflich waren/ eine recht-verträuliche Kundschaft zu machen/ um dadurch zu seinem vorgesetzten Zweck desto bässer zu gelangen. Zu diesem seinem Fürhaben ware Ihm beförderlich/ die daselbst/ auf Niederländische Manier/ übliche Willkomms-Mahlzeit: worzu Er alle fürnehme Künstlere/ (deren Anzahl sich damals auf 40 erstrecket) selbst in Person eingeladen/ auch mit vernünftigen Discursen/ sowol die Französische und Italiänische/ als die Teutsche und Niederländische/ jeden in seiner eigenen Sprache unterhalten.
Wie nun diese schöne Gesellschaft sich versammlet hatte/ entzogen sich/ inzwischen das Mahl zubereitet die ihn hingegen mit einem schönen Parnasso beehren. wurde/ die fürnehmste unter ihnen/ stillschweigend in ein großes Nebengemach: um alda/ diesem neu-ankommenden Künstler und seinem Reißgefärten/ ein besonderes Ehrengerüste fürzustellen. Sie entlehnten hierzu/ von dem Wirt/ allerley Mobilien/ und richteten in eile/ gar ingenios/ einen überaus-schönen Parnassum; welcher/ in das finster geschlossen/ mit angezündten Liechtern/ die hinter den quär-Balcken hiengen/ also erleuchtet wurde/ daß der ganze Schein auf die fürnehmste Bilder desselben herab fiele. Auf der Höhe des Bergs/ saße Apollo mit allen Musen. Zur seite/ doch etwas niedriger/ stunde die Poesy/ Scultura und Pictura: welche/ als Fremdlinge/ der Mercurius bey der Hand zu dem Apollo, um dieselben in himmlischen Schutz anzunehmen/ begleitete. Hierauf befahle Apollo seinen Musen/ sie als Gäste zu empfahen/ und aus der Castalischen Quelle mit einem herrlichen Nectar-Trunk zu beschenken. Entzwischen wurden Sileni guldene Becher von Alban verwandlet und abgenommen/ und allenthalben/ unter zwischen spielendem kleinem Feuerwerk/ als Schwärmern und Raggeten/ mit frendigem Jubel/Viva viva Sandrart é le Blon, geruffen. Von diesem Actu, der überaus schön zu sehen gewesen/ gienge man/ nach allerseits freudigem Empfang/ zur Malzeit: da diese beyde Fremdlinge/ als Joachim von Sandrart und sein Vetter le Blon, mit Lorbeergekrönten Häuptern/ zu oberst an die Tafel gesetzt/ und also die ganze Nacht/ mit
aller Lustbarkeit/ neben gutem Gespräche/ verbracht worden.
Unser Reisender wurde nachmals von ihnen/ erstlich in der Stadt Uso und Practica unterrichtet/ folgends ihme alles lob- und ruhmwürdige gezeiget Unter den frühen, in Rom entstandenen Zeichnungen befindet sich eine Vedute des »Campo Vaccino« (Forum Romanum) die Sandrarts direkte Aufnahme antiker Bauten dokumentiert./ auch ihme Gelegenheit gemacht/ jede rare Stuck/ nach selbst-eignem gefallen/ abzuzeichnen. Dannenher erschiene bald bey Ihm eine so meisterhafte Manier/ daß Er/ bey täglicher besuchung der antichen Statuen und Academien/ in hohe achtung geriehte/ und also nicht mehr verborgen bleiben Er wird/ unter die zwolf bäste Künstlere in Italien/ gezehlet: konte. Dann/ sobald von seiner Hand zwey Stucke ans Liecht gekommen/ ward Er unter die jenige berühmteste Künstlere in Italien gezehlet/ die da zwölf Stucke für den König in Hispanien/ von gleicher Größe/ nach dem Leben verfärtigen sollen: da Er dann sein Werk so glücklich zu end gebracht/ daß es für eines der bästen/ von Cardinälen/ Herzogen/ Fürsten und Liebhabern in Rom/ als man sie/ am Festtag Unsrer lieben Frauen da Constantinopoli, unter wärender Procession, Zwölf Gemälde derselben: aufgestellet/ ist geschätzet worden. Es waren aber/ in diesen Tafeln/ nach beschriebene Historien begriffen.
1 des Guido Bolognese, wie Paris die schöne Helenam entführet; Erstlich mahlte Guido Renn da Bologna, den Paris, in Gestalt eines Soldaten/ mit Casquet/ Harnisch und Panzer bedecket/ der die schöne Helenam, aus ihrem Palast/ zu seinem Reise-Schiff/ mit höflichem Unterhalt und Gespräche/ an das Meer-Ufer begleitete. Ihr folgte/ ein vielfältiggekleidtes Frauenzimmer/ mit Kleinodien/ Schatz und Juwel-Trühlein/ auch etliche Knechte/ die einen gefässelten Mohren führten. Es ware alles so wol und fürtrefflich ordinirt und gezeichnet/ daß Natur/ Kunst und Gratia in die wette spielten.
2 des Guerzin da Cento, der Dido selbst-ermordung. Das zweyte/ färtigte Guerzin da Cento, und ware die Geschicht/ wie die beschmerzte Königin Dido, nach Verlust ihres Geliebten Aeneas, sich selbst ermordend/ sich ganz wehmütig/ in ihren köstlichsten Kleidern/ auf den Scheiterhaufen gesetzet/ und einen scharffen spitzigen Dolch ihr selber in die Brust gestossen: worbey das klagende Frauenzimmer/ und die Trabanten/ das Gehölz anzünden/ und also diese Königin zu einem Brandopfer der Liebe machen. Ist alles sehr natürlich und fleißig/ sonderlich das Angesicht der nun-sterbenden Dido, sehr schmerzhaft und beweglich/ ausgebildet gewesen.
3, 4, 5 des Josepho d’Arpieras, Das dritte mahlte/ der Spanische Cavallier Josepho d’Arpieras: welches aber/ bey gedachter Procession, wegen ermanglender endlichen Verfärtigung/ unaufgesetzt verblieben. Gleiche Bewandnis hatte es mit dem vierten/ welches der Cavallier de Messime Neapolitanische Cavallier de Massime verfärtigt. Also ware auch das Fünfte noch unter handen und des Horatio Gentilesco. bey Horatio Gentilesco einem Florentiner/ welcher damals in Königlichen Englischen Diensten sich befande.
6 des Petro de Cortonne, Raub der Sabinerinnen. In dem Sechsten/ welches Petrus de Cortonne gemacht/ erschiene Romulus, mitten in einem herrlichen und von eingeladenen Sabinern Männ- und Weiblichen Geschlechts/ erfülleten Theatro stehend: da die Sabinische Jungfrauen/ indem sie auf das versprochene Schauspiel warteten/
Der Lebenslauf, den Sandrart entgegen seiner auf Bescheidenheit zielenden Aussage wohl selbst verfasst hat (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 4), erfuhr durch Sigmund von Birken deutliche sprachliche Eingriffe wie aus dessen Korrespondenz und Tagebucheintragungen ersichtlich wird (vgl. Klemm 1995; Laufhütte 1998, S. 25–29; Möseneder 2000, S. 163; Laufhütte 2011). Die im Lebenslauf vertretenen Leitmotive von Geburts- und Kunstadel, von Tugendidealen, den Kontakten mit Herrschern und Gelehrten sowie der Idee einer neuen deutschen Kunst vor dem Hintergrund eines europäischen Lebenswandels stilisieren Sandrart zu einem würdigen Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft (vgl. Meier 2004, S. 223–227). Besonders die Qualitäten von Sandrarts Malerei werden durch Georg Philipp Harsdörffer bezeugt (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 19 f.), vgl. dazu Schreurs 2010(c), S. 128–132.The end of this part of the text is on page 631