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In der Tafel K. der Iconologia Deorum präsentieren sich die vier Götter der Winde in einer so niemals in der Natur vorkommenden Konstellation, da sie alle gleichzeitig ihre Auswirkungen demonstrieren. Als geflügelte Personifikationen schweben sie in einer Art Kreislauf durch den wolkenschweren Himmel und verdeutlichen die Vielfalt des Windes als Naturphänomen: Der sanfte Westwind Zephyrus umklammert oben rechts seine Gemahlin Flora; in dem weiten Puste-Trichter verdeutlichen Blumen seine fruchtbringende Wirkung. Der heftige Nordwind Boreas, mit der geraubten Oreithyia darunter, den Sandrart, wie bei Cartari beschrieben, mit Schlangenbeinen darstellt, bringt Kälte und Schnee (was die feinen Flocken des Trichters andeuten). Links schwebt der Südwind Auster auf einem Wolkenthron, der »mit seinem Sausen den Regen verschaffet« (vgl. TA 1680, Iconologia Deorum, S. 92). Von Ovid (und nach ihm von Cartari und Sandrart) wird er als bedrohlicher Regengott beschrieben: »Der Südwind/ als nich faul/ die nassen Flügel schwingt/ sieht schrecklich/ pechschwarz aus/ der Bart ist schwehr von Regen/ wie auch das graue Haar; die Stirn ist dick umlegen/ mit Nebeln/ lauter Thau aus Schoß und Flügeln dringt« (s. TA 1680, Iconologia Deorum, S. 92). Die drohende Übermenge an Regen findet im Bild Anschauung durch schnurdicke Wasserstränge, die sich im Puste-Trichter formen und aus dem Wolkenthron herabhängen. Der Ostwind Eurus bildet den Abschluß des Windkreislaufes; oberhalb der dicken Wolken scheint sein Blasen für die Aufheiterung des Wetters zu sorgen. Dem Text entsprechend gestaltet Sandrart ihn schwarz, »wegen der Mohren, durch derer Länder er streichet« (s. TA 1680, Iconologia Deorum, S. 92). Die Sonne aber, die – dem Cartari-Text folgend – »weil [sie]/ wann sie im Untergehen roht erscheinet/ ein Kennzeichen […] seyn soll/ dass deß nächstfolgenden Morgens der Eurus erwecket werde/ […] zum Haupte seines Bildes […] feurig gemahlt« (TA 1680, Iconologia Deorum, S. 92) wird, ist zum Kopf des Zephyrus hinübergewandert.

Die enge Anlehnung an die Holzschnitte von Ferroverde ist evident: Spiegelbildlich und mit identischen Armhaltungen sind Zephyrus und Flora übernommen; Boreas und seine Gemahlin erinnern in ihrer engen Umklammerung an das Vorbild Ferroverde. Der Regengott Auster thront in ähnlicher Haltung. Eurus ist aus der stehenden in eine lagernde Position gewandert, dafür ging er seiner ihm zugehörigen Sonne verlustig, die – wie deutlich zu erkennen ist – Sandrart beim »Abkupfern« der Vorlage falsch dem Frühlingsgott zuordnete. Doch verknüpft der Maler die Windgötter Ferroverdes mit weiteren mythologischen Gestalten zu einer umfassenden Naturallegorie, die Cartaris schriftliche Ausführungen reflektiert:
Cartari (und damit auch Sandrart in seiner Übersetzung) ordnet die Winde dem Bildnis des Oceans und demjenigen der Flüsse zu, da die Winde am Meer und am Wasser »ihre Kräffte insonderheit spühren lassen« (s. TA 1680, Iconologia Deorum, S. 92). Unter dem Herrscher des Meeres, sind demzufolge – bei Cartari mit jeweils einzelnen Holzschnitten – unter anderem Neptun selbst, Galatea, die Sirenen, Skylla und Charybdis, die Meerwesen Euronyme und Derceto, der Tiber, der Nil und schließlich die Bilder von Vertumnus und Pomona, Götter des Jahres, der Gärten und der Fruchtbarkeit, abgehandelt.
Anders als Ferroverdes plakative Einzelgötterbilder konzipierte Sandrart zum gesamten Kapitel über den Neptun drei ganzseitige Kupferplatten, in denen die mythologische Schar zusammengefaßt und das Geschehen synthetisiert wurde, vgl. Platte H und Platte I.

In dem dritten großen Kupferstich, der Platte K., in dessen Mittelpunkt die vier Hauptwinde stehen, ging Sandrart schließlich weit über den Anspruch hinaus, nur neue Götterbilder zu schaffen. Vielmehr stellte er den Zusammenhang der Elemente dar, wie sie Cartari in seiner Ordnung der Götterbilder bereits grundlegend suggeriert hatte: Dem wirbelnden Geschehen am Himmel ist eine ebenso nasse wie heitere Szenerie auf der Erde entgegengesetzt. Hier tummeln sich Nymphen und Putten in einem Flußbett, dessen durch den Regen bereits flutendem Wasser weiteres durch Kübel und Vasen hinzugefügt wird. Besonders die liegende Nymphe im Vordergrund ist es, die durch ihre wasserspendenden Brüste das Grundthema der Fruchtbarkeit betont. Die Horen, die in einer dicken Wolke knapp oberhalb des Flußbettes die nassen Haare ausdrücken, spielen mit dieser Tätigkeit auf diejenige ihrer schaumgeborenen Begleiterin, Venus, an. Ein Bogen, der sich oberhalb der Horen bis zur Wolke des Regengottes erhebt, vermittelt zwischen den beiden Sphären und verkörpert den Naturkreislauf, in dem das Wasser zum Himmel aufsteigt und von dort wieder herabregnet.

Ganz bewusst integrierte Sandrart dabei Figuren, die dem kollektiven Bildgedächtnis bekannt gewesen sein dürften, wie die Personifikationen der Windgötter, aber auch die Putten, die sich vom Flußgott Nil gelöst zu haben scheinen. Die mythologisch bekannten Figuren verband er mit einer Landschaft, in der die Wirkungen der Hauptpersonen des Stiches, der Winde, wie eine Art Motor für alles Naturgeschehen fungieren. In ihren Wirkungen demonstrieren sie den naturwissenschaftlichen Kreislauf von Sonne, Wasser und Luft. Ohne allzu großes Wissen um die genauen Zusammenhänge kundzutun spielt er auf die Verbindung von Wind, Wasser und Fruchtbarkeit an, so wie dies Cartari mit seinem Text, der in der Darstellung von Vertumnus als Gott der Fruchtbarkeit des Landes mündet, vorgegeben hatte.
Dieses naturkundliche Interesse findet seine Bestätigung in einer Erklärung, die Sandrart im Vorspann der Iconologia Deorum für alle Kupferstichtafeln gab. Auf der Platte K. habe er die Wirkungen der Winde dargestellt, so formuliert er dort, »wann sie zu ihrer Zeit die ihnen untergebne Länder durchblasen/ woraus entstehen die aufsteigende Feuchtigkeiten/ Dämpfe/ Nebel/ Thau/ Regen/ der Nymphen Wolcken=Güsse/ Springwasser/ Quellen/ Brunnen/ Bäche/ Teiche/ Pfühle/ Ströme/ Seen und Meere.«(s. TA 1680, Iconologia Deorum, Erklärung der Kupfer [VIII]). An der Seite rechts sei der Wasserfall des Tibers zu sehen. Dessen Wasser kämen zum Teil aus den rauen Abruzzen, schweift der Autor hier ab, und lockert den Text durch ein italienisches Sprichwort auf: »Chi vuol sentir li tormenti dell’Inferno, Vadi in Apuglia, l’estate in Aquila l’inverno«, dem er gleich eine Kostprobe seiner Übersetzungskünste anfügt: »Wer will fühlen und empfinden hier auf Erd der Höllen Pein/ Mag Apulien des Sommers ihm erwehlen nur allein/ Und in Aquila des Winters lassen seine Wohnung seyn« (s. TA 1680, Iconologia Deorum, Erklärung der Kupfer [VIII]).

Kommentar von Anna Schreurs04.04.2011

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