Kommentar
Dem Porträt des Künstlers mit der Umschrift »JOACHIMVS DE SANDRART A STOCKAV ANNO MDCLVI« auf dem Avers entspricht ein durchaus doppeldeutig zu lesendes Revers (Kupferstiche der Medaille finden sich in Volkmann (Bd. 1, 1768, nach S. XXX). Die Strahlen der Sonne erwärmen einen Putto, der auf einer Blumenwiese schlafend am Boden liegt. Sein Kopf lagert auf einem Totenschädel nahe an einem niedrigen Sockel, auf dem eine Sonnenuhr zu erkennen ist. Dahinter recken sich zwei Sonnenblumen der Sonne entgegen, während eine weitere den Kopf in Richtung des schlafenden Amors hängen läßt. Zunächst weist die Umschrift mit Sandrarts Motto »Vivere pour morire et morire pour vivere« auf eine religiöse Deutung des Emblems, in die sich die Sonnenuhr (als Memento mori oder als Zeichen der Gnade Gottes, vgl. Henkel/Schöne 1976, S. 1343) ebenso wie die Sonnenblume als »Wendung zu Gott« oder »Nachfolge Christi« (Henkel/Schöne 1976, S. 311), oder im neostoizistischen Sinn als Wendung der »vernunfft zu Gott und zu ihrem Ursprung« (Lipsius, Ed. Viritius 1601, Fol. 13r) fügen. Doch wird diese Interpretation von einer zweiten Deutungsebene überlagert: Die Sonnenblumen, die der niederländische Dichter Joost van der Vondel 1654 als Sinnbilder der Malerei beschrieb (In den Inwyjinge der Schilderkunste op Sint Lukas Feest: »Gelyk de zonneblom haar oogen / Uit minne draeit naer ’s hemels bogen, / En volght met haer gezicht / Het alverquickend licht, / De zon, die ’t al zyn verwe geeft, / En daer geboomte en plant by leeft; / Zoo volght de Schilderkunst, / Uit aengebore gunst, / Ontsteecken van een heilig vuur / De schoonheit van Natuur, …«, zitiert nach Bruyn/Emmens 1956, S. 7) und die Anthony van Dyck bereits um 1633 in seinem »Selbstportrait mit Sonnenblume« zur Selbstdarstellung als Maler genutzt hatte. Vgl. hierzu die umfassende Studie von Peacock 2006, der – seine These untermauernd – sehr treffend auf die von Wenzel Hollar gestochene Reproduktionsgrafik von 1644 hinweist, in der die Widmung die Interpretation des Bildes als Selbstporträt des Malers van Dycks durch die direkt unter der Sonnenblume plazierten Worte »Artis Picturae« pointiert unterstreicht (S. 269), ebenso wie die Ähnlichkeit des liegenden Putto zu den Textvignetten der Teutschen Academie lassen an eine Ausdeutung denken, die den panegyrischen Aussagen des LebensLaufs entsprechen: Über der Finsternis der deutschen Kunstwelt ist eine neue Sonne aufgegangen, welche es vermag, die Malerei zu neuem Leben zu erwecken, denn – so lautet die Fortsetzung des oben zitierten Künstlerlobs aus dem LebensLauf:
»Dieser erleuchtete Geist/ nahme wol recht an sich die Eigenschaft der Sonne: welche nicht allein leuchtet/ sondern auch mit unverdrossenem Lauf die Häuser des Himmels durchkutschet/ und dieselben erleuchtet.« (vgl. TA 1675, Lebenslauf, S. 3)
Ähnlich wie Van Dyck also, der – so die Interpretation von Nils Büttner – im »Selbstporträt mit Sonnenblume« sich selbstbewusst als »Sonne« charakterisiert, dem die Künstler nachfolgen sollten (Büttner 2002, S. 34), und ebenso wie Albrecht Dürer, den Sandrart in der von ihm gesetzten lateinischen Grabinschrift als »ARTIVM LVMEN, SOL ARTIFICVM« bezeichnete (zitiert nach Campe 1828, S. 174), nimmt auch der Maler selbst den Rang des »leuchtenden Vorbildes« ein. In der Medaille demonstriert er sein kunsttheoretisches Credo – er folgt den vortrefflichen Vorbildern in der Malerei wie die Sonnenblume der Sonne; doch selbst hat er sich im Laufe seines Lebens zum vorbildlichen Maler emporgearbeitet, dem nachzufolgen ist. Auch das persönliche Motto – vivre pour mourir. mourir pour vivre – erinnert in einer zweiten, kunsttheoretischen Bedeutungsebene an sein zyklisches Denken von Blüte und Verfall, Aufstieg und Niedergang in den Künsten, wie es der Titelkupferstich der Iconologia Deorum verdeutlicht).
Kommentar von Anna Schreurs — 25.03.2011