Kommentar

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In Sandrarts »Höhle der Ewigkeit« meint man, durch eine Art Pupille in die Unendlichkeit zu schauen: Die in ihren Schwanz beißende Schlange umgibt, als Emblem der Ewigkeit, eine kreisrunde Höhle. Darin stützt sich ein Alter auf ein Buch, das die Inschrift »Divina Providenza« trägt.
Textliche Grundlage für dieses Bildthema bot ein Passus aus Claudius Claudianus’ Lobgesängen »De consulatu Stilichonis« (II, V. 424–448; vgl. Kemp 1969, mit Zitat des lateinischen Textes), den Cartari in seinem Kapitel über das »Antro dell’Eternità« zitierte und übersetzte. In Text (vgl. TA 1680, Iconologia Deorum, S. 12 f.) und Bild übernahm Sandrart zahlreiche der darin beschriebenen Elemente: Die Schlange (»Die weite Höhl der Grufft wird in die Rund umfangen / von der/ die alles frisst/ von jener Schuppen-Schlangen/ die ihren schlancken Schwantz zum engen Rachen streckt/ und mit bepfeilter Zung den glatten Stachel leckt«); die Personifikation der Natura (»Es hütet die Natur und sitzt vor dieser Höhlen/ an allen Gliedern hangt der Hauffe leichter Seelen«); der Alte in der Höhle (»Ein weis-bereifftes Haupt/ ein Ernst-gezierter Mann/ schreibt die Gesetze vor/ so niemand ändern kann/ und allzeit gültig sind: Er theilet ab die Fackeln, die am Saphir=Gewölbe des hohen Himmels wackeln.«) und schließlich der heran eilende Phoebus (»Sobald der Foebus kam/ und seinen Einzug-Pracht vor dieser Höhlen nahm«). Es sind eben jene Motive, die auch in den vorausgehenden Illustrationen zum Cartari-Text zu finden sind: in dem Holzschnitt von Bolognino Zaltieri in der erste Ausgabe von 1571 ebenso wie in demjenigen, den Filippo Ferroverde für die Cartari-Ausgabe von Lorenzo Pignoria (1615) schuf (vgl. McGrath 1962 und Volpi 1992).
Dass der Greis in der Höhle »die Zeiten nach dem Gestirne abtheilet«, betont Sandrart durch acht konzentrische Kreise, auf denen die Tierkreiszeichen richtig entgegen dem Uhrzeigersinn aufgeführt sind; sie lassen die Höhle wie eine Himmelsvision erscheinen. Anders als in der früheren Illustration des Cartari-Textes von Filippo Ferroverde sind hier Apoll in die linke obere und Natura in die rechte untere Ecke des Blattes verschoben. Hinzugefügt sind zwei Sternbilder, der kleine Bär in der rechten oberen Ecke und der Paradiesvogel unten links: Betont der Bär, der sich – anders als in Sandrarts »Chaos«-Darstellung – hier in friedlicher Koexistenz mit der Sonne und dem ihr zugeordneten Gott zeigt, die friedvolle Atmosphäre des Blattes, so beweist der Paradiesvogel, dass Sandrart mit dem astronomischen Kenntnisstand des 17. Jahrhundert bestens vertraut war: dieses Sternbild gehörte nicht zum Kanon der antiken ptolemäischen Sternbilder, sondern wurde erst 1603 als avus indica (Indischer Vogel) in den von dem deutschen Astronom Johannes Bayer publizierten Sternatlas, die Uranometria, aufgenommen. Im »Antrum«-Kupfer ist dessen Darstellung des Vogels exakt kopiert. Doch auch die anderen darin publizierten Sternbilder, gestochen von Alexander Mair, übernimmt Sandrart sehr genau (vgl. Schreurs 2007, S. 154 f.). Mit diesen Bildern übermittelt er nicht nur das astronomische Wissen seiner Zeit, sondern tradiert auch jene Entwürfe, die Albrecht Dürer in seiner Sternkarte der nördlichen Hemisphäre 1515 publiziert und die Mair in seinen Sternbildern übernommen hatte.

Die kosmologische Achse spannt den Zodiacus ein zwischen dem Sternbild des kleinen Bären, der mit dem Polarstern ganz im Norden gelegen ist, und dem Paradiesvogel, der als Sternbild den Südpol tangiert; sie demonstriert Sandrarts gründliche Kenntnis der Himmelsmechanik. Eine »kunsttheoretische Achse« verbindet entsprechend Natura mit dem Gott der Künste, Apoll: Diese Diagonale verläuft wohl nicht zufällig durch das Sternzeichen des Stiers, unter dem Sandrart im Mai 1606 geboren wurde. Sein Sternzeichen korrespondiert zudem mit dem Stier am unteren Blattrand. In ihm finden wir – in der Bedeutung des Lukas-Stiers für die Malerei – einen weiteren Hinweis auf die kunsttheoretische Ebene des Blattes. Die Palme in der Landschaft unterhalb des Zodiaks dürfte einen Verweis auf die Fruchtbringende Gesellschaft darstellen. Gleichzeitig suggeriert die Landschaft, in der Vertreter von Wasser-, Luft- und Erdtieren zu sehen sind, einen »paradiesischen«, friedvollen Zustand, auf den wohl auch der wiederaufblühende Zweig am knorrigen Baum hinweisen will.
Entscheidend aber ist, dass der Greis, das »Fatum« oder die »Göttliche Schickung«, der über die Ewigkeit wacht, in seiner Bedeutung gegenüber Apoll zurücktritt, dem hier die übergeordnete, beherrschende Rolle zukommt. Somit setzt Sandrart den Gott der Künste, Apollon, als beherrschenden Gott an der Höhle der Ewigkeit noch vor den in der folgenden Tafel C. dargestellten Gott Saturn (Chronos/ Demorgogon), und damit an den Anfang seiner Göttergenealogie, die er mit der »Iconologia Deorum« vorlegt.

Kommentar von Anna Schreurs29.09.2010

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