TA 1675, I, Buch 3 (Malerei), S. 75
aber an diese und andere Regeln nicht allerdings gebunden/ sondern man kan es nach Vernunft und Notdurft verändern.
Hat man auszubilden arbeitende Leute oder Bauren/ die an einem schweren Stuck stossen oder ziehen/ und wegen solcher Schwere mit Händen und Füßen müßen einseitig gehen/ oder Hände und Füße mit Kräften zusammen spannen/ da dann die Die vornemste Glieder/ sollen möglichst sichtbar und unverdeckt bleiben. Glieder ausgestreckt werden/ und schöne Theile Menschlichen Leibes sich praesentiren: alsdann soll man achtung geben/ daß solche/ wann es möglich/ durch die Falten des Gewands/ oder durch etwas anders/ nicht bedecket/ sondern wol sichtbar gelassen/ damit der beste Affect im anschauen nicht verhintert/ werde.
Vielfältiges Verkürzen der Bilder/ ist zu meiden. Das vielfältige Verkürzen der Bilder/ sonderlich an Armen/ stehet nicht allezeit wol/ und haben es alle fürnehmste Künstler vermieden/ sonderlich wann Platz genug vorhanden ist.
Es zeiget sich auch sehr übel/ wann ein sitzendes Regeln/ von Kniehen und Füßen/ Bild die Füße auswarts/ und die Kniehe hingegen einwarts gegen einander/ kehret. Wann aber die Kniehe auswarts gehen/ und die Füße zusammen kreutzen/ so giebt es bässern Wolstand. Der Weibs-Bilder von Beinen und Schenkeln/ Beine/ es seyen gleich sitzende oder stehende Bilder/ sollen erbarlich/ und nicht zuweit von einander/ stehen. Es kommet auch sehr übel an sitzenden Manns-Bildern/ noch schlimmer aber an Weibs-Bildern/ sie seyen nackend oder gekleidt/ wann man gerad zwischen beede Kniehe hinein sihet: und ist löblicher/ wann solche links- oder rechtseits gekehret werden.
von den Achseln und Hüften/Viel berühmte Meister haben diesen Ubelstand an stehenden/ auch ligend- und sitzenden Bildern eingeführet/ daß sie/ wann die rechte oder linke Hüfte auswanket/ die Achsel selbiger Seiten erhoben: da doch hingegen ingemein die Achsel der Seiten/ wo die Hüfte ausweichet/ niedriger/ als die andere/ seyn soll.
von den Armen/ Wiederum irren auch etliche/ wann sie von der niedrigen Achsel den Arm/ um etwas zu verrichten/ über sich reichen lassen: welches ganz unrecht ist/ und doch oft geschiehet. Zu verhütung dieser Unzierde/ soll allezeit beobachtet werden/ daß/ der Arm/ von der höchsten Achsel/ auch am höchsten über sich reiche/ nemlich aus der andern Seite/ wo die Hüfte meist erhebt kommet. Es soll auch jederzeit das Haupt/ wann es müglich/ sich nach der höchsten Achsel wenden.
Händen und Füßen.Wann zierliche fürnehme Bilder/ und nicht grobe Arbeiter/ zu mahlen sind/ sollen sie nicht beede Arme oder Hände zu einer Verrichtung zugleich ausheben oder anwenden/ (es wäre dann/ daß das Bild Arbeit thäte) sondern damit abwechslen: und also soll es auch mit den Füßen gehalten werden.
Es sind auch etliche so frech/ daß sie/ an einer Verdrehte Bilder/ sind wild und unformlich. Figur/ Brust und sal. hon. Hinterbacken zugleich sehen lassen/ und vermeinen noch/ sie haben viel Wunder verrichtet: welches ein schändlicher Ubelstand ist. Es sind auch/ unter uns Teutschen/ welche die Arme/ Beine und alles wild und kreuzweis durch einander verdrehen/ die Kniehe biegen/ und die Füße contrahiren und verwicklen. Diese unbesonnene Freyheit/ ist billich für einen Unverstand
zu halten: sintemal die Vollkommenheit solches wilden Gebrauchs nicht bedürftig ist. Darum soll man/ im wenden und biegen der Glieder/ ehrbarlich bey der Natur-Zierde bleiben.
Im übersich-sehen eines Bildes/ mus man das Wie ein Bild aussehen und sich neigen soll? Angesicht nicht ruckwarts niederer hangen lassen/ also daß die Augen gerad hinauf gen Himmel sehen. Man mus auch dasselbe nicht allzutief für sich neigen Wie weil man des Bildes Haupt umwenden mag?/ also daß die Achsel dem Nabel in der Höhe gleich kommet. Das Haupt/ mus man nicht weiter umkehren/ als bis das Kien auf den Achslen stehet. Hingegen ist/ bey Händen und Füßen/ mehrere Freyheit erlaubet. Gleichwol soll man den Arm Wie hoch ein Arm zu heben? nicht zu hoch heben/ sondern nur/ bis der Elnbogen der Achsel gleich komme. Es ist aber allezeit/ die Natur/ für eine sichere und wahre Richtschnur zu halten.
Regeln/ von Last-tragenden/ Wann ein Bild etwas schweres aufhebt/ so lehret die Natur/ das Gewicht zu bewegen/ mit mehrerer Vorsetzung des einen Fußes: hingegen der andere Fuß/ auf welchem der Last ruhet/ spielet nicht/ sondern stehet fest/ zu seiner Sicherheit. Gleichfalls/ wann die Achsel eine Last träget/ so kan der Fuß auf der Seite/ wo die Last liget/ nicht spielen.
von stehend- nud gehenden Bildern. Die gehende Bilder/ sollen nicht weiter schreiten/ als eines Fußes Länge von einem zum andern. Die perfecte Antichen/ haben allezeit ihre stehende Bilder/ als wolten sie gehen/ auch etwas wankend/ sehr rühmlich und angenehm gestellet.Die Zierlichkeit der Füße im auf- und niederheben/ ist hierbey/ sonderlich im danzen/ mit geradem Leib/ zu beobachten.
Der Bilder Natur-artige und wol-sittige action ist allenthalben genau zu beobachten. Man hat kürzlich/ in dergleichen Gemählen/ auf der Bilder Natur-artige und wohl-sittliche action und Arbeit scharff abzusehen: daß die Hände und Finger correct und wol-anständig wirkend/ als bey Harpfen- Instrument- und Lautenspielen/ bey werffen/ hauen/ schleiffen/ tragen/ graben/ laufen/ schnaufen und springen/ praesentiret werden/ also daß die andere Glieder auch ernstlich Von Weibs-Bildern. mit gemeinschaft haben. Die Nymphen/ Schäferinnen/ Göttinen und Concubinen/ sollen reitzend und schön von Gliedern/ lebhaft/ mit frechen Bewegungen/ auch sowol in action, als sonst ingemein/ liebreich und angenehm/ mit sonderbarer Zierlichkeit der Farben/ vorgestellet werden.
Die Alter/ complexion und Naturen/ sind zu observiren. Ebenmäßig soll der Künstler/ in den Bildern/ die Alter/ Complexion und Naturen/ wol unterscheiden. Die einfältige Jugend/ mus zur Frölichkeit geneigt/ auch lieblich/ angenehm und frech von Art/ erscheinen. Den Erbaren Frauen/ welche Von erbaren Frauen-Bildern; der Arbeit ungewohnt/ mus man keine kühne Mannliche Tritte und action, und nur/ wo es anständig/ eine züchtige/ keusche und demütige Gestalt/ im stehen/ gehen und sitzen/ zueignen/ auch sie/ mit Angesicht und Gebärden/ bewegliche Zeichen der Erbarkeit geben machen.
von Starken/ Hingegen erfordert die Wissenschaft/ in den starken Männern/ einen keckern und fästen Stand/ weil sie schwere Verrichtungen haben: wie uns Jungen und Alten Manns-Bildern. dann in allem diesem die Natur/ als wahre Lehrmeisterin/ herrlich vorgehet. Jüngere Manns-Bilder/ zeigen sich/ ohne Schwermütigkeit/ wacker/