TA 1679, Metamorphosis, S. 101
ein grosser Künstler und vernünfftig-weiser Mann gewest/ auch des Himmels und der Sternen Lauff wol verstanden/ er sie dessen Erkanntnus gelehrt: dann er ihr erst den Taurus oder Stier/ das himmlische Zeichen gewiesen/ da sie dann in diesen Stier/ und andere himmlische Zeichen sich hefftig verliebt und bemühet/ in der Erkänntnus deren immer weiter zu kommen. Und weil die Athenienser/ als wir erzehlt haben/ dem Minos gehässig gewest/ haben sie ihm/ durch ihre Gedichte/ viel Schandflecken angehängt: daher dieses sich vielleicht wol also verhalten kan/ wie es der Griechische Poet Lucianus vorbringet. Wir aber wollen folgen der gemeinen Meinung/ daß nemlich Daedalus/ wegen eines Todschlags/ zum Minos geflohen/ und ein Mitursacher und Gehülffe des Ehebruchs der Pasiphae mit dem Taurus gewest: wie auch daß/ als er/ mit seinem Sohne/ gefangen gehalten worden/ er aus dem Gefängnus gebrochen/ und aus Creta nach Sicilien geflohen/ da niemand vergönnet war/ zur See grosse Schiffe zu gebrauchen/ ausser einigen besonderen Personen: und solches um der Seerauber willen/ damit sie/ mit ihren kleinen Schifflein/ nicht viel ausrichten solten: also ist Daedalus/ und sein Sohn/ mit noch einig andern (die gleichfalls Ursache zu fliehen hatten) in zweyen kleinen Schifflein davon gefahren; und dieweil Daedalus ihre Schifflein wol mit Seegeln versehen hatte/ dichtete man/ als ob er sich/ und seinem Sohne Flügel gemacht. Dergestalt sind sie dahin gesegelt/ und haben/ mit aller Macht/ gerudert/ um der Flotte des Minos/ die sie verfolgte/ zu entgehen. Daedalus ist in Sicilien ans Land kommen; Icarus aber/ weil er keinen erfahrnen Steuermann hatte/ auf eine Klippe gelauffen/ und durch Schiffbruch/ wie Pausanias schreibet/ zur See geblieben.
Wir müssen aber das Gedicht/ vom Fliegen des Daedalus und Icarus/ noch besser auslegen und erklären. Wann man nur Achtung gibt auf die Vermahnung/ so der Vatter an seinen Sohn thut/ wie man dieselbe lieset in dem achten Verwandlungs-Buche/ und in unsers Poeten Liebkunst; kan man leichtlich mercken/ daß etwas anders/ als ein blosser Unterricht von der Seefahrt/ oder einem solchem erdichteten Fliegen; nemlich/ eine Unterweisung/ den Lauff des menschlichen Lebens betreffend/ dardurch gemeinet und verstanden werde. Als/ darinnen uns insonderheit vorgehalten und angewiesen wird/ wie nutzbar und förderlich es sey/ die rechte Maß halten/ oder in allen Dingen mässig seyn; und wie schädlich hingegen es sey/ der Unmässigkeit ergeben seyn: welches auch das bekandte Sprichwort zeiget/ da man zusagen pfleget: Die Mässigkeit besteht/ Unmässigkeit vergehet. Gestalt uns auch/ durch diese zwey Flüger/ vor Augen gestellet wird: da der eine erhalten/ der andere aber zu Grunde gegangen. Bey diesem Fliegen/ ist auch zu beobachten/ wie der Ehrgeitz/ oder die Begierde nach hohen Dingen/ wann sie/ durch die Vernunfft und Weisheit/ regiert/ und im Zaum gehalten wird/ nicht hoch über ihre Ziel und Gräntzen sich aufschwinge/ sondern/ wie sichs geziemet/ oder die Verdienste und Meriten erfordern. Ja/ in allen Neigungen/ Willen/ Lüsten/
Wercken/ Wissenschafften und Erkänntnussen der Menschen findet man/ wo man durchgehends die rechte lobwürdige Mässigkeit weislich zu treffen weiß/ einen sicheren/ geraden Weg/ aus dem Irrgarten dieser Welt/ über die ungestümme bittere Wellen des elenden Lebens hinaus zu fliegen/ auf welchen man/ wie beym Daedalus zu sehen/ erhalten/ und zu einem glückseligen Ende sicherlich geleitet werden kan. Dafern man aber unmässig/ in diesen Dingen: fället man/ mit dem Icarus/ in die bittere Elends-Wellen dieser Welt/ mit unwiederbringlicher Schande und Schmach seiner begangenen Thorheit. Hierdurch wird die unbedächtige und mutwillige Jugend gestrafft/ und selbiger vorgestellt/ was ihre Vermassenheit/ hitzige Lüste oder Begierden/ und der/ gegen den Eltern verübte/ Ungehorsam für ein Ende zu nehmen pflege/ welches ihnen offtermalen unversehens/ und in einem Augenblick/ ihren Untergang verursachet: sintemal der Mensch/ in seiner unerfahrnen Jugend/ mehrmalen solche Dinge sucht und begehrt/ die ihm nicht allein unnütz/ sondern auch höchstschädlich sind; indeme sie ihm/ in seinem Geiste/ aufsteigen/ und zum Himmel entzünden/ iedoch unglaublich weit ausser der rechten Bahn/ darauf ihnen die Flügel der Tugend und Ehre verderben/ indem das Wachs der Vernunfft/ welches sie hatten/ verschmiltzt/ und sie sich also/ in ein wildes ungestümmes Meer der Bosheit/ und aller ungeziemender böser Wercke stürtzen.
Die Fabel/ von dem Calidonischen wilden Schweine/ deutet an/ wie bös und schädlich es sey/ wann/ in einem Lande/ die heilige Furcht/ und der Gottesdienst verachtet/ versaumet und unterlassen wird; und was grosses Verderben dardurch zu entstehen pflege/ bald durch diese/ bald durch andere Straffen/ die von wegen der gewöhnlichen Sünden von GOtt den Menschen zugeschicket werden. Belangend den bacillum fatalem, oder unglücklichen Stab/ des Meleagers; war solcher nichts anders/ als die böse Flüche/ welche Althaea seine Mutter wider ihn ausspeyete/ als sie ihme den Tod wünschete. Dann sie/ wie Homerus erzehlet/ den Pluto und die Proserpina gebeten/ daß sie ihn wolten sterben lassen. Worzu sie dann auch Zauberey-Mittel solte gebraucht haben. Die Kraffts-Verminderung des Meleagers/ durch das Verbrennen des besagten unglücklichen Stabs/ worein seine Lebens-zeit oder Ziel geordnet war/ deutet auf nichts anders/ als daß die nahrhaffte Feuchtigkeiten in des Menschen Leibe abnehmen/ wann eine Widerwertigkeit/ zwischen denen vornehmsten Theilen/ dieselbe verzehrt/ also daß sie/ durch eine fiebrische Hitze ausgetrucknet/ zu ersterben beginnet. Darbey auch zu lernen/ daß der Mensch/ wegen seiner Jugend/ des gähen Todes nicht versichert seye: sondern ihn der Tod/ wie an dem Meleager zu sehen/ unversehens/ ja auch/ in seiner höchsten Freude/ und wann er vermeint/ es werde mit ihm keine Noht haben/ überfallen könne: Ingleichen/ wie der Göttliche Straffe den Missethäter und Sünder ergreiffe/ als dem Meleager/ der seine zween Vettern/ oder Oheime/ umgebracht hatte/ geschahe. Diese Fabel zeiget auch an/ wie schädlich es sey/ sich von dem Zorne