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TA 1679, Metamorphosis, S. 124

Spaltenübergreifend
Ausleg- und Sinn-gebender
Erklärung/
über die
METAMORPHOSIS,
oder
Verwandlungs-Bücher/
Des
Publius Ovidius Naso.
Eilftes Buch.
Linke Spalte

VOm Orpheus haben wir/ im vorhergehenden Buche/ fast alles/ was wir zu sagen gehabt/ erzehlt/ wie auch unterschiedliche Meinungen von seinem Tode beygebracht. Einige vermeinen/ er seye in Tracien vom Jupiter/ durch einen Donnerstral/ erschlagen worden/ wie unter andern auch diese Grabschrifft des Leonidas ausweiset:

Des Thrazers Orpheus sein Gebein ligt hier bedeckt/
den Jupiter mit Blitz’ und Donner-Stral erschreckt/
und gantz zerschmettert hat etc.

Pausanias sagt/ daß die Nachtigaln/ so sich um das Grab des Orpheus aufgehalten/ viel lieb- und künstlicher gesungen/ als alle andere gethan hätten. Sein Grab aber war in Macedonien/ an dem Ort Dia genannt: und weil seine Glieder auf dem Felde zerrissen/ und vor den wilden Thieren gelegen/ Auslegung/ auf die in Sterne verwandelte Harff des Orpheus. haben die neun Musen selbige begraben. Sein Haupt war vom Fluß Hebre bis Lesbos geschwommen/ und allda begraben/ seine Harff unter die Sternen gestellet/ und mit neun hellen Sternen gezieret: dann iede Musa/ oder Gesang-Göttin hatte einen darzu gegeben. Wordurch zu verstehen ist/ daß der Menschen tugendsame und ehrlöbliche Thaten in der Ewigkeit blincken/ berühmt seyn/ und in stets-gläntzender Gedächtnus bleiben. Hierauf folgen nun Silenus und Midas.

Vom Silenus.

WEr dieses Silenus Eltern gewesen/ habe ich nirgend funden/ sondern nur/ daß er/ wie Pausanias und Pindarus erzehlen/ aus der Stadt Malca in Macedonien gewest. Wiewol Catullus sagt/ daß er von Nysa/ einer Stadt in Indien/ bürtig gewest sey. Seine Mutter soll gewest seyn eine Nymphe/ geringer dann die Götter/

Rechte Spalte

und doch mehr als ein Mensch. Er war der Kostherr und Auferzieher des Bachus. Lucianus sagt/ er sey gewest ein alter Mann/ klein von Gestalt/ fett/ und habe einen sehr dicken Bauch/ eine zerdruckte Nase/ kahlen Kopff/ lange/ scharffe/ spitzige Ohren gehabt/ sey zitterend/ sich auf einem Stecken lehnend einhergegangen: Er pflegte sehr gebückt mit einem langen gelben Kleide/ als ein Weib/ auf seinem Esel zu sitzen. Unter dem Bachus/ ist er gewest ein tapfferer Hofmann und Kriegs-Obrister/ dem jener am meisten vertrauen kunte/ und der trefllichgute Erfahrenheit hatte/ eine Schlacht-Ordnung zu stellen. Virgilius/ in seinem sechsten Hirten-Liede/ sagt/ er sey meist bezecht und truncken gewest; unser Poet aber/ in seiner Liebs-kunst/ daß er allezeit einen Theil Satyren bey sich gehabt/ die ihme wann er truncken vom Esel gefallen/ wiederum drauf geholffen. Pausanias meldet ebenfalls/ daß der älteste/ unter denen Satyren/ Silenus genennet worden. Von seinem Esel werden Wunder-Dinge erzehlet. Erstlich/ als Jupiter bestritten ward/ von den Riesen/ machte er ein solches Geschrey/ daß die Riesen erschracken/ und die Flucht nahmen/ in Meinung/ es wäre ein erschrecklich Gespenst/ oder Ungeheuer vorhanden/ welches die Götter herbey brächten. So trieb er auch die Indianer/ auf solche Weise/ in die Flucht/ als Bachus daselbst Krieg führte: also/ daß dieses Thier nachgehends gleichfalls unter die Sterne gesetzet werden muste. Man sagte/ daß Midas eins den Silenus betrogen. Dann weil er gewust/ daß dieser alte Mann ein grosser Liebhaber des Weins/ habe er in einen Spring-Brunn Wein giessen/ ihme Netze/ oder Stricke legen lassen/ und ihn also gefangen bekommen: dieweil er aber gewust/ daß er von des Bachus Volcke/ habe er ihn wol empfangen/ und den zehnten Tag wieder losgegeben/ nachdem er vom Silenus viel vortrefliche und verborgene Dinge/ als/ von dem fremden und unbekandten Indien/ und dergleichen mehr/ erlernet hatte. Von denen Daemones was sie gewesen. Strabo gedenckt/ in seinem zehntem Buche/ daß die Satyri/ Sileni/ Bacchi/ und Tityri/ gewesen/ Daemones, oder Diener und Knechte der andern