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TA 1679, Metamorphosis, S. 120

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Affecten/ so uns/ als lange wir in der Hölle dieses Leichnams seynd/ zu qvälen pflegen. Und also führen wir/ in dem schwartzen Rachen unsers zeitlichen/ ungewissen und zerbrechlichen Lebens/ durch viel Elend und Verdrüßligkeiten hindurch. Dieser unser Fährmann ist alt/ und dannoch hat er seine Krafft nicht verloren/ wie dann die Zeit/ so alt sie auch von Jahren ist/ gleichwol an kräfften nichts abgenommen hat. An seinem Leibe trägt er ein beschmutzt unsauber Kleid: Welches anders nichts anzeigen will/ dann die vergängliche Dinge dieser Zeit/ mit denen wir umgehen/ und mehrmalen grosse Lust daran haben: Da sie doch/ gegen denen Himmlischen ewigen/ die wir iederzeit vor Augen haben/ und/ über diesen irrdischen/ nicht vergessen solten; eitel/ unütz und unrein sind. Aber/ dieser vermoderte alte Lumpe unsers schwachen Fleisches oder Leichnams/ wormit wir umfangen seynd/ beraubet uns/ leider! Des Liechts unser Vernunfft so gar/ daß wir/ in dieser Welt/ als die Blinde herum tappen/ und/ durch unsere eigne betriegliche Sinnligkeiten/ Affecten und Neigungen/ von einem Ort zum andern/ dergestalt gestossen und geworffen werden/ daß wir mehrmalen in ungründliche Pfühle allerley Unfalls verfallen und einsincken. Und gleichwie auch/ als gesagt ist/ Charon der Schiffer/ oder Fehrmann/ welcher die Seelen aus dieser Welt führet/ Freude bedeutet; also/ haben die alten Weisen darfür gehalten/ daß man sich darüber freuen solte/ wann der Mensch aus der Hölle dieser Welt schiede; hingegen aber weinen und betrübt seyn/ wann er geboren würde/ und also zu allen Aengsten/ Kümmernüssen und zeitlichem Elend dieser Hölle/ so dem Menschen/ von Kindheit auf begegnen/ einginge. Inmassen dann Virgilius der Poet/ sehr schön dieses anweist/ wann er saget/ daß in dem Vorhoffe oder Vorburg der Höllen/ Hunger/ Sorge/ Furcht/ Kranckheit/ Traurigkeit/ Klagen und alle dergleichen Abentheur mehr/ ihren Aufenhalt und Wesen hätten. Hierauf erzehlt unser Poet/ von Tannenbaum/ der von der Cybele sehr geliebt: Weil Atys darein verwandelt worden. Diesem nach/ wollen wir erstlich von der Cybele handeln.

Von der Cybele und
dem Atys.

DIese Cybele finden wir unterschiedlich benamset/ und ist/ in denen Gedichten/ nicht sonderlich fest drauf zu bauen: Dann die Poeten solche Namen hier und dar wunderlich unter einander mengen/ daß man leichtlich meinen solte/ man habe nicht auf alles wol acht gehabt/ wann man solche oft Cybele ist Vesta/ die Mutter der Götter oder die Erde. wider einander lauffende/ und mit sich selbst streitende Dinge antrifft. Sintemal ietztgedachte Cybele/ von Einigen Vesta, die Erde/ eine Mutter der Götter/ Ops/ Ceres und Proserpina/ genennet wird. Gleichwol hab ich/ im ersten Buche/ da vom Coelius gehandelt worden/ angewiesen und wol unterschieden/ daß zwo Vestae gewesen: da es dann so genau nicht abgehet/ daß nicht

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unterweilen eine für die andere genommen und verwechselt werden solte. Daß Vesta die Erde/ oder Mutter der Götter/ Cybele genennet wird/ ist nach einem Berge/ in Phrygia/ von gleichem Namen/ oder nach der geometrischen Figur eines Cubus/ Von Atys seltsamen Abkunfft. welcher ihr zugeeignet und gewidmet war/ geschehen. Atys hatte eine sehr seltsame Abkunfft/ von des Jupiters verschüttetem Samen/ worvon eine Misgestallt/ nemlichen ein zwiedornig Kind/ Agdistes genannt/ zur Welt kam/ über welchem sich die Götter sehr entrüsteten/ ihme das männliche Theil abschnitten/ und so weit sie konten/ weg auf die Erde wurffen. Warvon also bald eine sonderbare Frucht aufgewachsen/ welche des Flusses/ Gedicht von Atys. Sagaris Tochter in ihren Schoß nahm/ und willens war/ sie zu essen; weil sie aber zerschmaltz/ wurde sie darvon geschwängert/ und gebar mit der Zeit hiervon einen sehr schönen Sohn/ den sie/ aus Schaam/ in einen Busch verbarg/ und darinnen allzeit säugte/ damit er nicht verschmachten oder sterben möchte. Dieser nun/ als er erwachsen und groß war/ wurde genennet Atys/ ein Mensch so schöner Gestalt/ daß er mehr einem Gott/ als Menschen ähnlich sahe: Dahero ihm auch der König von Phrygien seine Tochter gab: Worüber der besagte Agdistes/ so das weibliche Theil behalten hatte/ wegen der grossen Liebe/ die er zum Atys trug/ sich dermassen entrüstete/ daß er den Atys/ durch Zaubereyen/ gantz rasend machte/ also daß er/ in solcher Raserey/ ihm selbsten das männliche Glied abschnitte. Weil aber solches den Agdistes reuete/ bat und erlangte er vom Jupiter/ daß das übrige von des Atys Leichname nimmermehr verwesen Andere von Atys. möchte. Allein es ist dieses alles anders nichts/ als ein blosses Gedicht/ deme wir annoch etwas anders/ welches eben so warhafftig scheinet/ iedoch mehr zu unserm Vorhaben dienet/ beyfügen wollen.

Atys/ ein schöner Jüngling/ war von der Göttin Cybele sehr geliebt/ iedoch mit heiliger und keuscher Liebe: Deswegen sie ihn zu sich genommen/ und ihme übergeben ihre zugeeignete Heiligkeiten/ unter dem Bedinge/ daß er allezeit/ in einem reinem und Jungfräulichen Stande/ bleiben solte/ wie er dann mit einem Eide zu thun gelobte. Solches aber kunte er nicht halten. Dann als er sich in eine schöne Nymphe/ des Flusses Sagaris Tochter/ verliebte/ vergaß er seines Gelübts/ und genoß also der Liebe dieser seiner Allerliebsten sehr offt: Weswegen die Göttin entrüstet/ die Nymphe tödten ließ/ und den Jüngling aus ihrem Dienste verjagte. Worüber er dermassen sich alterirte/ daß er gantz rasend wurde/ auf die hohen Berge lieff/ sehr kläglich winselte und heulete/ auch seinen schönen Leib/ an verschiedenen Orten/ mit scharffen Steinen/ schwerlich verletzte/ das Glied/ wormit er die Göttin erzürnet hatte/ abschnittete/ und sich ohne Zweiffel selbst solte umgebracht haben/ woferne sie nicht Mitleiden mit ihme gehabt/ und ihn in einen grünen Dannenbaum verwandelt hätte/ weil sie diesen Baum damals iederzeit liebte/ und in hohen Würden hielte. Dieses solte etwas natürliches bedeuten von Blumen/ welche vor andern schön/ iedoch ohne Frucht sind: allein mir ist allhier